Freitag, 22. September 2006

Lyrik, Gedichte, Verse - Versus memoriales - schnelllebige Tage, flüchtige Momente des Vergessens (4)







Ernst Wilhelm Lotz (*6. Februar 1890 in Culm; + 26. September 1914 in einem französischen Schützengraben)
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DEINE HÄNDE

Jetzt bin ich lüstern nach deinen Händen.
Wenn sie die meinen begrüßend drücken,
können sie Weltraum-staunend beglücken.
Deine Hände führen ein selbstgewolltes, stilles Leben.
Ich habe mich deinen Händen ergeben.
Nun dürfen sie mich begreifen und fassen, zu deinen Höhen,
mit Blicken nach Weiten,
mich geschenk-gütig heben. -
Spielerisch aber werden sie mich übergleiten
und am Wege hier liegen lassen.

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Erich Fried (*6. Mai 1921 in Wien;+ 22. November 1988 in Baden-Baden)
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WAS ES IST
.
Es ist Unsinn
sagt die Vernunft
Es ist was es ist
sagt die Liebe
Es ist Unglück
sagt die Berech-
nung.

Es ist nichts als
Schmerz
sagt die Angst
Es ist aussichtslos
sagt die Einsicht
Es ist was es ist
sagt die Liebe
.
Es ist lächerlich
sagt der Stolz
Es ist leichtsinnig
sagt die Vorsicht
Es ist unmöglich
sagt die Erfahrung
Es ist was es ist
sagt die Liebe

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DER SOMMER GEHT ZUR NEIGE
.
Wo der Weg vergeht
und das Holzkreuz steht,
hockt der Tod und klagt, daß wir nicht kommen.
Wir, du und ich,
kommen sicherlich,
haben nur auf dem Weg durchs Feld genommen.
Blumen im Feld,
grüßt mir die Welt,
mit den Menschen und den Tieren allen.
.
Wenn man euch fragt,
nickt im Wind und sagt,
unser Leben hat uns nicht gefallen.

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BEVOR ICH STERBE
.

Noch einmal sprechen
von der Wärme des Lebens
damit doch einige wissen:
Es ist nicht warm
aber es könne warm sein
.
Bevor ich sterbe
noch einmal sprechen
von Liebe
damit doch einige sagen:
Das gab es
das muss es geben
.
Noch einmal sprechen
vom Glück der Hoffnung auf Glück
damit doch einige fragen:

Was war das
wann kommt es wieder ?

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LIEBE

Ich bin nur ICH LIEBE DICH IMMER

ich bin nur ICH LIEBE DICH

ich bin ICH LIEBE DICH

ich bin nur ICH

Ich bin NUR

ich bin NUR DICH IMMER

ich bin nur DICH

ich bin nur immer LIEBE

IMMER NUR DICH

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Kurt Tucholsky(*9. Januar 1890 in Berlin;+ 21. Dezember in Göteburg)
.

AUGEN IN DER GROßSTADT
.
Wenn du zur Arbeit gehst am frühen Morgen,
wenn du am Bahnhof stehst
mit Deinen Sorgen: da zeigt die Stadt dir asphaltglatt
im Menschentrichter Millionen Gesichter:
Zwei fremde Augen, ein kurzer Blick, die Brauen, die Pupillen,die Lider -
Was war das? Vielleicht Dein Lebenglück ...
Vorbei, verweht, nie wieder.
.
Du gehst Dein Leben lang auf tausend Straßen;
du siehst auf Deinem Gang, die
dich vergaßen.
Ein Auge winkt,
die Seele klinkt;
du hast gefunden ...
nur für Sekundn ...
.
Zwei fremde Augen, ein kurzer Blick,
Die Braue, Pupillen, die Lider;
Was war das ? Kein Mensch dreht die Zeit zurück ...
Vorbei, verweht, nie wieder.
.
Du mußt auf Deinem Gang
durch Städte wandern;
siehst einen Plusschlag lang
den fremden Andern.
Es kann ein Feind sein,
Es kann ein Freund sein,
Es kann im Kampfe dein
Genosse sein.
Er zieht hinüber
und zieht vorüber ...
Zwei fremde Augen, ein kurzer Blick.
die Braue, Pupillen, die Lider

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IDEAL UND WIRKLICHKEIT
.
In stiller Nacht und monogamen Betten
Denkst du dir aus, was dir am Leben fehlt.
Die Nerven knistern. Wenn wir das doch hätten,
was uns, weil es nicht da ist, leise quält.
Du präparierst dir im Gedankengange
Das, was du willst - und nachher kriegst dus nie ...
Man möchte immer eine große Lange,
und dann bekommt man eine kleine Dicke -
C'est la vie -!
.
Sie muß sich wie in einem Kugellager
in ihren Hüften biegen, groß und blond.
Ein Pfund zu wenig und sie wäre mager,
wer je in diesen Haaren sich gesonnt ...
Nachher erliegst du dem verfluchten Hange
Der Eile und der Phantasie.
Man möchte immer eine große Lange,
und dann bekommt man eine kleine Dicke -
Ssälawih - !
.
Man möchte eine helle Pfeife kaufen
Und kauft eine dunkle - andere sind nicht da.
Man möchte jeden Morgen dauerlaufen
Und tut es nicht. Beinah ...- beinah ...
Wir dachten unter kaiserlichen Zwange
An eine Republik ... und nun ists die !
Man möchte immer eine große Lange,
und dann bekommt man eine kleine Dickje -
Ssälawih - !

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SIE SCHLÄFT

Morgens, vom letzten Schlaf ein Stück,
nimm mich ein bißchen mit -
auf deinem Traumboot zu gleiten ist Glück - Die Zeituhr geh ihren harten Schritt ...
pick-pack ...

"Sie schläft mit ihm" ist ein gutes Wort.
Im Schlaf fließt das Dunkle zusammen.
Zwei sind keins. Es knistern die kleinen Flammen, aber dein Atem fächelt sie fort.
Ich bin aus der Welt. Ich will nie wieder in sie zurück - jetzt, wo du nicht bist, bist du ganz mein.
Morgens, im letzten Schlummer ein Stück, kann ich dein Gefährte sein.
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PARK MONCEAU

Hier ist es hübsch. Hier kann ich ruhig träumen.
Hier bin ich Mensch - und nicht nur Zivilist.
Hier darf ich links gehn. Unter grünen Bäumen
keine Tafel, was verboten ist.

Ein dicker Kullerball liegt auf dem Rasen.
Ein Vogel zupft an einem hellen Blatt.
Ein kleiner Junge gräbt sich in der Nasen
und freut sich, wenn er was gefunden hat.

Es prüfen vier Amerikanerinnen,
ob Cook auch recht hat und hier Bäume stehn.
Paris von außen und Paris von innen:
sie sehen nichts und müssen alles sehn.

Die Kinder lärmen auf den bunten Steinen.
Die Sonne scheint und glitzert azf ein Haus.
Ich sitze still und lasse mich bescheinen
und ruh von meinem Vaterland aus.

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Hermann Kesten (*28. Januar 1900 in Podwoloczy/Ukraine; + 3. Mai 1996 in Riehen bei Basel/Schweiz )


EIN JAHR IN NEW YORK

Zuhause hatte ich eine Truhe
Für meine Träume und einen Schrank,
Und meine TRäume hatten Schuhe,
Um auf Bäum zu steigen und auf Berge.

Sie waren Riesen und sind Zwerge -
Im Exil werden Träume krank.
Dort saß ich zu Pferd, hier auf der Bank
Zwischen Menschen aus Stein. Ach, in der Fremde
fühlt man sich fremd im eigenen Hemde.
Wohin mit Schmerzen und Träumen?
Ich renne, als würde ich was versäumen.
Schon hab' ich verloren ein ganzes Jahr,
Ich bin nicht, der ich drüben war.
Das widrige Gift, das Heimatlos
Macht die Qual der leeren Tage groß,
Die nackten Schmerzen wie Möwen schrein
Mit krummen Schnäbeln, wild und gemein.
Wohin mit den Träumen? Sie waren mein Fehler,
Gibt es für kranke Träume Spitäler?
Ich gehe vom Broadway zur Riverside.
In New York hat nur der Tote Zeit.
Meine Träume sprechen schon Slang. Ihr Duft
Ward schweflig gelb wie Manhattans Luft.
Im Central Park spucken Schwarze und Weiße.
Ob ich noch morgen Kersten heiße?
Man wechselt den Namen, vertauscht sein Gesicht.
Man liebt nicht die anderen, sich selber nicht.
How do you spell your name? Do you like
Appel pie? God'? America? Lucky strike?
Träume gehn hier in einen Fingerhut.
Meine Träume sind tot. Ich fasse neuen Mut.
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Konfuzius (551 v. Chr. bis 479v. Chr.)
.
Wer das Morgen
Nicht bedenkt,
wird Kummer haben,
bevor das Heute zu Ende geht.
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Antoine de Saint-Exupery (*29. Juni 1900 in Lyon; + 31. Juni 1944 nahe Île de Riou bei Marseille
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Wir werden
Für einander
Einzig sein in dieser Welt

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Herman von Lingg (*22. Januar 1820 in Lindau am Bodensee; + 18. Juni 1905 in München)


VERGESSEN UND VERLASSEN

Nur deine Locken küßt der Wind.
Sonst ist es ringsum stille Nacht,
Ein Mainachtregen haucht gelind,
Kein Licht erglänzt, kein Stern erwacht, Nur Deine
Lücken küßt der Wind.
Was blickst du einsam in die Nacht.

Du armes, allverlassne Kind?
Dein Lächeln hat einst mir gelacht -
Kein Licht erglänzt, kein Stern erwacht, Nur deine
Locken küßt der Wind

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Ja, einmal nimmt der Mensch

Ja, einmal nimmt der Mensch von seinen Tagen
Im voraus schon des Glückes Zinsen ein.
Und spricht: Ich will den Kranz der Freude,
Mag, was darauf folgt, nur noch Asche sein.
Ja einmal will ich auf den Mittagshöh'n
Des Lebens stehn und dann am Ende sagen:
Wie war der Traum so schön !

Da wir uns liebten, Da blühten Rosen um den Trauerzug;
Im Schaum der Tage, die sonst leer zerstiebten,
War eine Perle, reich und stolz genug,
Ich will den Arm um deinen Nacken schlingen,
Und durch die Ferne der Erinnrung tön':
Kann keine Zeit das Glück uns wiederbringen -
Wie war es doch so schön!

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Minnie Marie Rembe (*1949 in Kaiserslautern, lebt in Langmeil/Nordpfalz


1o. MAI 1933

Den Büchern
das Wort
genommen
den Dichtern
die Sprache
ein Land
ohne Morgen

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Robert Kühl (*1966 an der Ostsee)
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"Die Ostsee ist mein Leben. Ich liebe sie und lebe immer dort. Aber ich liebe auch meine drei Jungs, die fast aus dem Hause sind und meine Lebensgefährtin. Und ich liebe das Schreiben. Das Schreiben mit Gefühl.

Denn ich habe die Erfahrung gemacht, dass es Menschen gibt, die mich fühlen können, "sehen" fast. Darum schreibe ich manchmal nur, um zu berühren. Aber ich schreibe auch, um zu lachen, Erfahrungen und Erkenntnisse zu sortieren, zu provozieren, zu forschen oder einen Nachhall zu tauschen, und manchmal einfach nur als Ausgleich zu meinem handwerklichen Beruf. Grundsätzlich schreibe ich nur für mich. Aber es ist schöän, mich auf dem Wege des Schreibens zeigen und weitergeben zu können. Manchmal hilft's nd manchmal unterhält's auch nur."

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B E R Ü H R U N G E N

Berührungen sind ein merkwürdig wertvolles Gut:
Du kannst sie bekommen, nicht jedoch besitzen.
Es wird Dir nicht gelingen.
Berührungen zu kaufen, zu stehlen oder zu
erschleichen.

Wenn Du sie bekommst, machen sie Dich reich
Wenn Du sie gibst, machen sie Dich reicher.
Berührungen sind der Boden auf dem Du stehst,
Das Haus, in dem Du wohnst, das Licht, das Dir
leuchtet.

Sie bedeuten Liebe, Lachen ...
Berührungen sind Leben !
Unsere Träume sind die Flügel, die uns in eine
neue Wirklichkeit tragen ... ...

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Hermann Hesse (02. Juli 1877 in Calw; + 09. August 1962 in Montagnola /Schweiz)


S T U F E N

Wie jede Blüte welkt und jede Jugend
Dem Alter weicht, blüht jede Lebensstufe,
Blüht jede Weisheit auch und jede Tugend
Zu ihrer Zeit und darf nicht ewig dauern.
Es muß das Herz bei jedem Lebensrufe
Bereit zum Abschied sein und Neubeginne,
Um sich in Tapferkeit und ohne Trauern
In andre, neue Bindungen zu geben.
Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne,
Der uns beschützt und der uns hilft zu leben.

Wir sollen heiter Raum um Rau durchschreiten,
An kinem wie an einer Heimat hängen,
Der Weltgeist will nicht fesseln uns und engen,
Er will uns Stuf um Stufe heben, weiten.
Kaum sind wir heimisch einem Lebenskreise
Und traulich eingewohnt, so droht Erschlaffen,
Nur wer bereit zu Aufbruch ist und Reise,
Mag lähmender Gewöhung sich entraffen.


Es wird vielleicht auch noch die Todesstunde
Uns neuen Räumen jung entgegen senden,
Das Lebens Ruf an uns wird niemals enden ...
Wohlan denn Herz, nimm Abschied und
gesunde!

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Günter Kunert (*06. März 1929 in Berlin)

B E R L I N

Da ist nichts mehr
zu beschreiben. Stattdessen verhöhnt Beton alles Eingedenken
und verschachtelt Bewohner für immer.

Fort die unegründlichen Labyrinthe kläglichen Zimmer düstere Läden und das allabendliche Sansoucci betäubende Kneipen der glanzvolle Ernst der Seifengeschäfte
voll Buntheit und Bürsten gebunden
von wirklich Blinden und alten Frauen
von Fenstern gerahmt
bürgten für Dauer und Fortbestand.

Geduldig und schweigend
korrodierte in Fabrikhöfen die Zeit:
eine lebendige Weise von Tod
und im Dunkel
einer schon bald vergessenen Toreinfahrt
lauerte das Glück ohne Namen;
jetzt ist alles benannt und vermessen
abgeheftet und niedergerissen
und nichts mehr da
zum Beschreiben.
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John Ronald Reuel TOLKIEN (*3. Januar 1892 in Bloemfontein, Südafrika; + 2. September 1973 in Bournemouth, England)
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DU BIST DA
.
Du bist da. Ich finde Dich nicht.
Du würdest mich lieben. Doch Du weißt es noch nicht.
ich werde Dich immer suchen,
und hoffentlich verpasse ich dich nicht.
Denn sonst würße ich nicht was ich täte,
denn ich wäre sicherlich verbitter,
wenn ich nie Dein Wesen erblicken dürfte
und wüßte nicht, ob ich je wieder froh würde.

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