Montag, 19. September 2005

Lyrik, Gedichte, Verse - Versus memoriales - schnelllebige Tage, flüchtige Momente des Vergessens (2)


Theodor Storm ( *14. September 1817 in Husum, + am 4. Juli 1988 in Hademarschen/Holstein)
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Trost

So komme, was da kommen mag !
Solang du lebest, ist es Tag.

Und geht es in die Welt hinaus.
Wo du mir bist, bin ich zu Haus.

Ich seh dein liebes Angesicht.
Ich sehe die Schatten der Zukunft nicht."
(für Irmgard)

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LIED DES HARFENMÄDCHENS

Heute, nur heute
Bin ich so schön;
Morgen, ach morgen
Muß alles vergehn !

Nur diese Stunde
Bist du noch mein;
Sterben, ach sterben
Soll ich allein.

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Karl Kraus (* 28.April 1874 in Jicin Böhmen, + 12. Juni 1936 in Wien
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"Man glaubt gar nicht,
Wie schwer es oft ist,

eine Tat in einen Gedanken
umzusetzen."
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Ludwig Uhland (*26. April 1787 in Tübingen; + 13. November 1862 eben da)


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FRÜHLINGSLIED DES REZENSENTEN


Frühling ist's, ich laß es gelten,
Und mich freut's, ich muß gestehen,
Daß man kann spazieren gehen,
Ohne just sich zu erkälten.

Störche kommen an und Schwalben,
Nicht zu frühe, nicht zu feühe !
Blühe nur, mein Bäumchen, blühe !
Meinethalben, meinethalben !

Ja ! Ich fühl ein wenig Wonne,
Denn die Lerche singt erträglich,
Philomele nicht alltäglich,
Nicht so übel scheint die Sonne.

Daß es keinen überrasche,
Mich im grünen Feld zu sehen !
Nicht verschmäh ich auszugehen,
Kleistens Frühling in der Tasche.

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Rainer Maria Rilke (* 4. Dezember 1875 in Prag; + 29. Dezember 1926 im Sanatorium Valmont bei Montreux/ Schweiz)
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MANCHMAL FÜHLT SIE

Manchmal fühlt sie: Das Leben ist groß,
wilder, wie Ströme, die schäumen,
wilder, wie der Sturm in den Bäumen,
und leise lässt sie die Stunden los
und schenkt ihre Seele den Träumen.
Dann erwacht sie. Da steht ein Stern
still überm leisen Gelände.
Und ihr Haus hat ganz weiße Wände -
Da weiß sie: Das Leben ist fremd und fern
und faltet die alternden Hände.

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HERBST

Die Blätter fallen, fallen wie von weit,
als welkten in den Himmeln ferne Gärten;
sie fallen mit verneinender Gebärde.
Und in den Nächten fällt die schwere Erde
aus allen Sternen in die Einsamkeit.

Wir alle fallen. Diese Hand da fällt,
Und sieh dir andre an: es ist in allen.
Und doch ist Einer, welcher dieses Fallen
unendlich sanft in seinen Händen hält.

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DIE LIEBENDE
.
Ja ich sehne mich nach dir, Ich gleite
mich verlierend selbst mir aus der Hand,
ohne Hoffnung, dass ich Das bestreite,
was zu mir kommt wie aus deiner Seite
ernst und unbeirrt und unverwandt.

... jene Zeiten: O wie war ich Eines,
nichts was rief und nichts was mich verriet,
meine Stille war wie eines Steines,
über den der Bach sein Murmeln zieht.
.
Auch jetzt in diesen Frühlingswochen
hat mich etwas langsam abgebrochen
von dem unbewussten dunklen Jahr.
.
Etwas hat mein armes, warmes Leben
irgendeinen in die Hand gegeben,
der nicht weiß, was ich noch gestern war.

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Victor Hugo (*26. Februar 1808 in Besançon: + 22. Mai 1885 in Paris)
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MEDIEN-KARUSSELL

"Die Zukunft hat viele Namen
Für die Schwachen ist sie die Unerreichbare
Für die Furchtsamen ist sie die Unbekannte
Für die Tapferen ist sie die Chance."

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Frank Vincent Zappa (*21. Dezember 1946 in Baltimore, Maryland; + 4. Dezember 1993 in Laurel Canyon, Kalifornien
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Erwarte nichts im Leben.
Wenn du es tust, dann ist alles, was du bekommst, ein Bonus

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Ohne Abweichung von der Norm ist Fortschritt nicht möglich

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Joseph Karl Benedikt Freiherr von Eichendorff (*10. März 1788 Schloss Lubowitz bei Ratibor, Oberschlesien; + 26. November 1857 in Neiße, Oberschlesien

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DER ISEGRIM
.
Aktenstöße nachts verschlingen,
Schwatzen nach der Welt Gebrauch,
Und das große Tretrad schwingen
Wie ein Ochs, das kann ich auch.
.
Aber glauben, dass der Plunder
Eben nicht der Plunder wär,
Sondern ein hochgewichtig Wunder,
Das gelang mir nimmermehr.
Aber andere überhitzen,
Dass ich mit dem Federkiel
könnt den morschen Weltbau stützen,
Schien mir immer ein Narrenspiel.
.
Und so, weil ich in dem Drehen
Da steh oft wie ein Pasquill,
Lässt die Welt mich eben stehen -
Mag sie's halten, wie sie will.

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Mascha Kaléko (gebürtig Golda Malka Aufen, * 7. Juni 1907 im galizischen Schidlow, Österreich-Ungarn, heute Polen; + 21. Januar 1975 in Zürich).

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TOD
.
Vor meinen eigenen Tod ist mir nicht bang.
Nur vor dem Tode derer, die mir nah sind.
Wie soll ich leben, wenn sie nicht mehr da sind?
Allein im Nebel tast ich todentlang
Und lass mich willig in das Dunkel treiben.
Das Gehen schmerzt nicht halb so wie das Bleiben.
Der weiß es wohl, dem Gleichen widerfuhr, -
Und die es trugen, mögen mir vergeben.
Bedenk: den eignen Tod, den stirbt man nur,
Doch mit dem Tod der andern muss man leben.

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Nicolaas Thomas Bernhard (* 9. Februar 1931 in Heerlen, Niederlande; + 12. Februar 1989 in Gmunden, Österreich)

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naturgemäß
.
den hinterhofeingängen zu glauben dem geruch des entfernens
das nach dem ruf
das begeiten beginnt
die häuser
die nesseln
das fremde im land
eine schweigende masse
schliesst die fenster
und öffnet sie erst wieder
wenn es verschwunden ist
der atem
stockt
wenn wir das schweigen
mit dem reden verwechseln
uns zu sehen
zu betrachten
wie wir in jeder bewegung
glauben
zu wissen was der andere
spürt
was in ihm vorgeht
aber nichts
nichts läßt uns erkennen
was uns trennt
von dem schatten des
unbekannten
wir rufen
schreien
wir haben die sehnsucht erfunden
hüllen sei ein
und erkennen sie nicht mehr wieder

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Eduard Friedrich Möricke (*8. September 1804 in Ludwigsburg; + 4. Juni 1875 in Stuttgart)
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Früh im Wagen


Es graut vom Morgenreif
in Dämmerung das Feld,
Da schon ein blasser Streif
Den fernen Ost erhellt:

Man sieht im Lichte bald
Den Morgenstern vergehn,
Und doch am Fichtenwald
Den vollen Mond noch stehn:
So ist mein scheuer Blick,
Den schon die Ferne drängt,
Noch in das Schmerzensglück
Der Abschiedsnacht versenkt.

Dein braunes Auge steht
Ein dunkler See vor mir,
Dein Kuss, dein Hauch umweht,
Dein Flüstern mich noch hier.
An deinem Hals begräbt
Sich weinend mein Gesicht.
Und Purpurschwärze webt
Mir vor dem Auge dicht.

Die Sonne kommt - sie scheucht
Den Traum hinweg im Nu.
Und von den Bergen streicht
Ein Schauer auf mich zu.

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Johann Ludwig Tieck (*31. Mai 1973 in Berlin; + 28. April 1853 ebenda)
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TROST
Wenn die Ankerstricke brechen,
Denen du zu sehr vertraust.
Zornig nun die Wogen sprechen, -
O so laß das Schiff den Wogen,
Mast und Segel untergehn,
Laß die Winde zornig wehn,
Bleibe dir nur selbst gewogen,
von den Tönen fortgezogen.
Wirst du schön're Lande sehn:
Sprache hat dich betrogen,
Der Gedanke dich belogen,
Bleibe hier am Ufer stehn. -
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