Freitag, 1. April 1994

Die Legion der Arbeitslosen
























































Frankreichs Fremdenlegion - Gescheiterte, Gelangweilte, Abe
nteuerlustige. Eine Ver-heißung neuer Heimat für einen heimatlosen Haufen. Mythos und Moral leben in der Truppe ohne Vaterland. Freiwillige locken Kampfeinsätze irgendwo auf der Welt. Bevor sie das Képi blanc tragen dürfen, werden sie im Nahkampf geschliffen und als Scharf-schützen abgerichtet - beim Strafexerzieren haben Legionäre den Esel zu mimen.


DIE ZEIT
vom 1. April 1994
von Reimar Oltmanns


Wortfetzen in verschiedenen Sprachen schwirren herum, suchen ungeduldig ihren Adressaten. Was sich da in der Rue d'Ostende in Straßburg vor dem ocker-farbenen, durch eine hohe, stacheldrahtbewehrte Mauer geschützten Gebäude in Reih und Glied aufgebaut hat, ist ein Nationalitätengemisch: Polen, Ungarn, Russen, Engländer, Deutsche, ein paar Schweizer - lauter Buben-gesichter, kaum älter als achtzehn Jahre.

Übernächtigte Gesichter. Sie alle, die es hierher in die Rue d'Ostende verschlagen hat - Orientierungslos, Gescheiterte, auch Idealisten und Romantiker - , sie sind auf der Flucht; sie verliessen ihre Heimatländer jählings - meist nur mit einer kleinen Reisetasche, fast immer, ohne Adieu zu sagen. Auch wenn sich die meisten dieser Jugendlichen untereinander allenfalls gestikulierend verständigen können, verbindet sie fast alle ein gemeinsames Schicksal: Sie sind arbeitslos, ohne je gearbeitet zu haben: sie sind kriminell geworden, ohne Schwerstverbrecher zu sein - Menschen auf der Suche nach dem Durchbruch, auf dem Weg in unbekanntes Land.

UNTERARME WIE KEULEN

Ein kleines Hinweissschild verrät, wohin der Exedus geht: Légion étrangère. Während sie warten, Stunde um Stunde, haben die Neuankömmlinge das plakatierte Soldatenbild am Portal vor Augen, das ihnen den radikalen Lebensabschnitt signalisieren soll, das Bild eines Muster-soldaten aus Frankreichs Söldnertruppe: Kinn gereckt, der Kopf unter dem weißen képi kahlgeschoren. Unterarme wie Keulen, Epauletten rot-grün. Augen stramm gen Sanddünen, Meer und blauen Himmel gerichtet.

Im Schulungsraum der Legionärskaserne zwischen museumsreifen Maschinengewehren mit der französischen Fahne an der Wand inspiziert Major Olivier Souville, Kommandant des Rekrutierungsbüros, die Kandidaten. Seit Beginn der neunziger Jahre werden es immer mehr, die ihren Rettungsring zur Söldnertruppe auswerfen. Nach offiziellen Angaben haben sich allein im Jahr 1993 mehr als 10.000 junge Männer um Aufnahme in die Fremdenlegion beworben, zwei Drittel Bewerber kamen aus den früheren Ostblockstaaten.

REFLEX WIRTSCHAFTLICHER KRISEN

Der Zulauf zur Legion war seit eh und je ein Reflex auf politische und wirtschaftliche Krisen, Zusammen-brüche, Niederlagen. "Veränderungen auf der ganzen Welt wirken sich ganz direkt auf die innere soziale wie psychologische Verfassung aus - und natürlich auf die Kampfeskraft der Legion", urteilt ihr Pressesprecher René Tomatis.

Derzeit beherbergt die Legion 8.500 Mann aus 120 Ländern. Jedes Jahr kommen durchschnittlich 1.500 Neulegionäre mit Fünfjahreskontrakten dazu. "Wenn wir wollten, sagt Lieutenant-Colonel Richard Pau vom Hauptquartier in Aubagne, "können wir im Handumdrehen eine 100.000-Mann-Truppe auf die Beine stellen. Nachwuchsprobleme kennen wir nicht." Zu den Vertragskämpfern aus fernen Ländern stoßen zu einem Drittel, noch französische Elitesoldaten, Absolventen der Offiziersschule Saint Cyr, die das Rückgrat der Interventionstruppe bilden.

Vorbei sind die Zeiten, in denen junge Männer in Spelunken von Werbern mit Prostituierten im Gefolge betrunken gemacht wurden, sich im Vollrausch für die Legion verpflichteten - und in der Kaserne wieder aufwachten. Heute werden vier von fünf Bewerbern nach Hause geschickt - oft zurück in die Arbeitslosigkeit.

Vorbei ist es auch mit der romantisch untermalten Legende von Legionären auf Kamelen vor dem Wüstenfort des früheren Hauptquartiers im algerischen Sidi bel Abbès. Von den Legionären der neunziger Jahre wird qualifiziertes Spezialistentum erwartet. Ihr Fachgebiet heißt Krieg. Und wenn es den nicht zu führen gilt, bauen sie Straßen durch den Dschungel von Guayana, schützen das Atom-Atoll in der Südsee oder das Raumfahrtzentrum von Kourou.

ZUM STERBEN ERZOGEN

Dort verdienen sie monatlich etwa 1.000 Euro bei freier Kost und Unterkunft. Routinegeübt ist in Straßburgs Rekrutierungskaserne der Röntgenblick des Majors Souville, emotionslos seine Höflichkeit wie seine Selbstkontrolle. Bedrohlich korrekt sitzt die Uniform des Kommandanten. Sie ist Ausdruck einer über Jahrzehnte gehegten Gewissheit, noch vor den amerikanischen Ledernacken als die härteste, brutalste Truppe überhaupt zu gelten. Letztendlich ist es die Bindungslosigkeit der Söldner, durchaus mit einem Quäntchen brachialer Zuneigung zur Legion, die belobigt wird. Ganz im Sinne von Colonel Boileau, der als Kommandeur des 6. Sturmpionierregiments seinen pädogischen Auftrag so umschrieb: "Natürlich wird der Legionär zum bindungslosen Sterben erzogen." Nur steuerbar müsse das alles sein, erläutert der Rekrutierungsmajor und wendet sich seinen Jungs zu wie ein Zirkusdirektor in der Manege. "Tiens, violà du boudin" (ran an die Blutwurst), posaunt Monsieur Souville an diesem Morgen zum wiederholten Male. Kaum einer versteht's. Noch nicht. Aber die Jugendlichen nicken einsatzfreudig.

Wie bei einer Auktion auf dem Pferdemarkt lässt sich der Major die Zähne zeigen, die Muskeln und den Brustumfang. Nach wie vor ist der Körper wichtiger als der Kopf. Eineinhalb Dioptrien zuviel sind schlimmer als zwanzig IQ zuwenig. Sodann entlässt der Inspizient die Männer mit einem Zitat des ehemaligen Befehlshabers im Algerien, General George Cartoux, der über seine Söldner sagte: "Sie jammern nicht, sie haben keine schwangeren Ehefrauen und keine im Sterben liegenden Mütter. Sie stehen für keine Sache und für keine Idee. Kein General in der Welt kann sich eine bessere Truppe wünschen als diesen heimatlosen Haufen. - Abtreten!"

MÄNNERRITUALE AUS DER KOLONIALZEIT


Szenenwechsel. Durch das Offizierskasino im Château, einem Herrenhaus aus dem 18. Jahrhundert, säuseln Wortfloskeln im Französisch der feinen Gesellschaft. "Aah, mon captaine ... respect mon colonel ...". Benimm wie Bewegung lassen im Hauptquartier der Legion in Aubagne keinen Zweifel, dass hier noch die verstaubten Männerrituale aus der Kolonialzeit fortleben. Auf dem Kasernenhof prunkt eine Weltkugel in Bronze. Jeder helle Punkt darauf signalisiert: "Hier kämpfte schon die Legion." Klimaerprobt, weltweit sozusagen. Zur Feier des Tages Aufmarsch einer Ehrenkompanie weißer képis, Trommelwirbel, Fanfaren, würdiges Daherschreiten mit exakt 76 Schritten in der Minute, Hand auf der Brust, die Marseillaise als Begleitmusik. Zeitlupentempo.

Nicht wie vom Bronzeball auf dem Appellplatz steht seit etwa einer Stunde der frischgebackene achtzehnjährige Legionär Ernst Hasinger aus Bochum in voller Montur stramm. Hinter ihm steht in großen Lettern auf einem Sockel geschrieben: "Legio Patria Nostra" (Die Legion ist unser Vaterland). Seit einer Stunde ist von Legionär Ernst Hasinger fortwährend nur ein Satz zu hören: Je suis un âne (Ich bin ein Esel). Strafexerzieren für ein liederlich gemachtes Bett.

Mit welchem bürgerlichen Namen Legionär Hasinger bei der Legion ankam, das mag er nicht sagen. Wie sechzig Prozent seiner Kameraden hat auch er sich hier einen anderen Namen zugelegt. "Bochum", sagt er in seinem Ruhrpott-Französisch, "da will ich nie wieder hin. Mein Vater ist seit Jahren arbeitslos, geht nur noch in den Kneipe. Meine Mutter schuftet für Billiglohn im Kaufhof. Und ich habe mich zwei Jahre vergeblich um eine Berufsausbildung bemüht, vor Langeweile Spielautomaten geknackt. In eine Hilfsarbeitergruppe wollten die mich stecken. Null Bock, weg war ich. Jetzt will ich Franzose werden. Das wollen meine Kameraden aus Cottbus und Rostock auch." Hier hat man ihm erst einmal die Haare kurz geschoren. Bei jedem größeren Ungehorsam hagelt es ohnehin einen Glatzkopf.

Über vier Monate wurden sie auf einem Campus hart geschliffen, dass jeder Dritte vor Ende des Drills abmusterte. Ernst Hasinger hat den Legionärsgrundschliff überstanden, darf sich auch das képi blanc tragen. Aber unruhig ist er geworden. Deshalb muss er auch über eine Stunde strammstehen und Eselslaute von sich geben. Derweil laufen im Kommunikationsszentrum des Hauptquartiers wieder brandfrische Video-Kriegsfilme von den Kämpfen in Sarajevo ein. Ernst Hasinger weiß das, weil er die Drehungen der Parabolantennen verfolgen kann. Falls Frankreich Söldner einen Marschbefehl bekommen sollten, können sie keine 24 Stunden später dort sein. Vertragssoldat Hasinger sagt: "Eigentlich müssten wir richtig mit dem Bajonett aufräumen."

Noch lieber würde der neue Legionär freilich in der Südsee Wache schieben - "wegen der besseren Bezahlung, wegen des Klimas und der schönen Frauen und so."