Samstag, 21. März 1992

Viva Maria, arriverderci Macho - Frauen erobern Italien








































In
Gedenken an die römische Fernseh-journalistin Franca Magnani. Sie war eine Symbol-Figur italienischer Frauen-Autonomie und kompetenter Reportagen. Berichte, die zu Glanzstücken der ARD vornehmlich in den siebziger Jahren zählten. In Deutschland herrschte damals noch Kalter Krieg - gegen - über dem Osten und gegenüber selbstbe- wussten Frauen. Anlass genug für den CSU-nahen Bayerischen Rundfunk, Franca Magnani, die mit einem Kommunisten verheiratet war, vom Bildschirm zu verbannen. Franca Magnani (*1925+1996) starb an einer Krebserkrankung in Rom.

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Alles wandelt sich, alte Klischee-Bilder verstauben. Auch die Vorstellungen in unseren Köpfen müssen sich än- dern. Die Frauen der Mittelmeerländer sind längst nicht mehr die Flamenco tanzenden Zigarettenarbeiterinnen aus der Bizet-Oper "Carmen". Auch nicht mehr jene ergebenen Familien-Frauen, die italienische Männer so gern priesen (und betrogen).
Martina I. Kischke (1957-2000 verantwortliche FR-Redakteurin für Frauenthemen)
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Frankfurter Rundschau
vom 21. März 1992
von Mariangela Gioacchini
und Reimar Oltmanns

Im Jahre 1973 spöttelte die Mailänder Tages-zeitung "Corriere della Sera" über die Mitglieder der italienischen Frauenbewegung als "Generale ohne Heer". Zwei Jahre später mutmaßte dasselbe Blatt, dass "hier eine politische bedeutsame Kraft entsteht, mit der Regierung und Parteien rechnen müssen". Wiederum sechzehn Jahre danach fragen Journalisten vom "Corriere della Sera", "wann nunmehr der Tag der Frau in einen Tag der Männer umgewandelt wird. Die Frauen schaffen sich den Mythos einer eigenen Moral und vergessen dabei, dass auf der moralischen Ebene alle Menschen gleich sind." Offensichtlich sind Italiens Männer irritiert.

Wohl kaum ein anderes Land spült derartige soziale Veränderungen zwischen Männern und Frauen an die Oberfläche, wie es gegenwärtig in Italien geschieht. Alte Rollenbilder, tradiertes Rollenverhalten befinden sich im industrialisierten Norden in Auflösung, und im traditionsverbundenen, ärmeren Süden weicht die klassische Männlichkeits-Ideologie langsam auf. - Italia '92.


ZITTERT - DIE HEXEN SIND DA

Dabei wurde sie schon vielerorts für tot erklärt, die italienische Frauenbewegung, die in den siebziger Jahren fast die radikalste in Europa war. Geändert haben sich jedoch lediglich die Ausdrucksformen ihrer Arbeit - die auf Autonomie bedachten Italiener-innen sehen wohl kaum ihr Hauptanliegen daran, unentwegt schlagzeilenträchtige Szenarien frei Haus für die Abendnachrichten zu liefern. Vergilbt ist auf vielen römi-schen Mauern der Kampfesruf verflossener Jahre noch halbwegs lesbar: "Tremate, tremate, le streghe son' tornate" (Zittert, zittert, die Hexen sind wieder da). Vorbei ist mittlerweile jene legendäre, revolutionär-angehauchte Ära allgemeiner Frauen-Rebellion. - Zeiten, in denen es möglich war, per Schnellballsystem innerhalb von 24 Stunden siebzigtausend Frauen telefonisch für Massendemonstrationen zu mobilisieren. Mit erhobenen Händen formten Feministinnen das Zeichen der Vulva und drohten vor dem "Palazzo der Väter" (Parlament), die Männer zu kastrieren. Mit Pa-rolen wie "il potere e maschio" (die Macht ist männlich) wuchsen Zorn und Verbitterung. Der frühere Minister-präsident Amintore Fanfani (1908-1999) prophezeite drohend: "Eure Männer werden Euch verlassen."

NACHHOLBEDARF

Nur ein präzises Erinnern lässt die Konituität der femininen Wende in den neunziger Jahren in Italien erkennen. Zu groß war zunächst der Nachholbedarf an Gleichberechtigung in dem stets von Politikern und Päpsten beherrschten Land. Erst im Jahre 1946 durften Italienerinnen erstmals in ihrer Geschichte überhaupt wählen. Durch Demonstrationen und Diskussionen gelang es ihnen dann im Sinne der Gleichberechtigung, die Freigabe des Schwangerschaftsabbruches und ein neues Familien- recht (neunjährige Dispute) durchzuboxen. Erfolgsmomente. Gewiss - seither ist es ruhiger um die italienische Frauenbewegung geworden. Weil sie es ablehnt, sich im alltäglichen Kampf verschleißen zu lassen. Nur ist ihr Einfluss freilich und damit auch ihre Macht reichen mittlerweile in alle Schichten der italienischen Gesellschaft hinein. Anders als in Deutschland konnten sich Feministinnen südlich der Alpen sehr schnell von ihrem universitären, mitunter ideologie-lastigen Zirkel-Dasein befreien. Beizeiten hatten sich Italiens-Frauen darauf verständigt, dass der "Femi-nismus keine politische Bewegung ist, sondern die Kraft, die sich Frauen gegenseitig geben", bemerkt Roberta Tatafiore, Chefredakteurin "Noi Donne".

MACHTBASTION: FAMILIE
Jeder Versuch, Frauen-Politik und Frauen-Kultur in Italien nachzuvollziehen, sollte von der Tatsache ausgehen, dass nicht etwa die politischen Insitutionen, sondern einzig und allein die italienische Familie das stärkste Gremium des Landes ist.

FREMDHEITSGEFÜHLE

Der äußeren Grunderneuerung folgte zwangsläufig auch eine innere Renovierung - die eigentliche Kultur-revolution des Landes. "Die italienische Frau", urteilte Psycho-logie-Professor Fernando Dogana, "befand sich offenbar in einer Übergangsphase zwischen der Konditionierung durch die Tradition und der Orientierung an neuen kulturellen Leitbildern." Mit Beginn der achtziger Jahre begann der allmähliche Werte- und Sittenwandel Italiens, das Aufräumen mit frauenfeindlichen Bräuchen, etwa dem Jungfräulich-keitswahn im Süden oder der Konservierung alter Tabus im weiblichen Unterdrückungsmechanismus des Kirche-Kinder-Küche-Kreislaufes. Bei den Frauen Italiens hatten sich die Meinung durchgesetzt, dass es sinnlos sei, auf bessere Zeiten und verständnisvollere Männer zu warten - der Begriff "Affidamento" (vertrauen, sich verlassen auf) war geboren. Und mit ihm die erste zaghafte Hinwendung zu einer nur von Frauen erlebten Frauen-Gesellschaft. Für Italiens Frauenbewegung ist die männliche Akzeptanz nichts Erstrebenswertes mehr. Sie wollen keine weitere Gleichheit erreichen. Denn: Gleichheit bedeutet für sie die Orientierung an männliche Maßstäben. Kategorien und Inhalte, die sie ablehnen, weil es ihnen darauf ankommt, Frausein nicht als "Mangel" hinzunehmen, sondern als Fremdheits-gefühl in einer von Männern genormten Welt.

RÜCKZUG VOM ITALIENISCHEN MANN

Ob Rückzug oder Resignation vom italienischen Mann - die Politik des "Affidamento" baut zielstrebig nur Frauenbezüge unter Frauen auf; quasi ein kleines Frauen-Land im italienischen Staatenbund. Gemeint sind nämlich ausschließlich die Beziehungen der Frauen untereinander. Dabei dreht es sich nicht nur um Freundschaften. Frauen sollen sich vielmehr in ihrer Gegenwelt in ihrem Denken, Fühlen, Handeln und in ihrer aktuellen Alltagsbewältigung nur auf Frauen beziehen. Verständlich, dass in solch einem Lebenszusammenhang die Sexualität keinen intensiven Stellenwert mehr hat. Ob hetero oder homo - Sex holt man sich irgendwo und mit irgendwem - ganz unverbindlich, versteht sich. Ohnehin belegen jüngste repräsentative Umfragen, dass zusehends mehr Frauen in den neuen Rollen Schwierigkeiten mit ihrem "Latin lover" haben. Die Frauen scheinen kaum noch bereit zu sein, Körper und Seele für schnelllebige Dienstleistungen zur Verfügung stellen zu wollen.

"LATIN LOVER" - BEI MAMMA, AUF PAZZIA UND IM BETT

"Abends lässt er sich von seiner Mamma üppig Mangiare servieren, benimmt sich wie ein veralberter Minderjähriger, und dann sucht er mich nachts unter der Bettdecke - mit mir nicht", meint die 32jährige Pharmazeutin Valeria Carnevale aus Bologna während der Mittagszeit vor ihrer Apotheke auf dem ehrwürdigen Piazza Maggiore.

Doch auch der einst legendenumwobene "Latin Lover" hat sich mittlerweile zu Wort gemeldet. Zwischen Padua und Palermo geißelte er in Umfragen die für ihn offen-kundig neu entdeckte "weibliche Frigidität" - Gesellschafterkampf auf italienisch. Überall dort, wo sich Frauen zusammenschließen, sind sie dabei, neue Bezugspunkte aufzubauen, ungeahnte Gemeinsamkeiten etwa mit Frauen der katholischen Kirche zu entdecken: sie sagen den Männern adé - Italia im neunziger Jahrzehnt.

BISSIG UND FROSTIG

Rauh, bisweilen bissig-frostig ist es geworden, das Klima zwischen italienischen
Frauen und Männern. Der Übergang von Tradition zur Moderne hat viele Reibungspunkte - und auch Opfer. Plötzlich fühlen sich manche Männer in ihrem Ego bedroht. Und: Sie schlagen zurück. Nur in einem Jahr wurden in Italien 800.000 Frauen von ihrem Ehegefährten krankenhausreif geprügelt. Jede dritte Frau wird misshandelt. Und immer wieder tönt es unisono als Rechtfertigung aus der Männer-Ecke, wie es der sozialistennahe "Espresso" schrieb: "Vor allem die Berufstätigkeit und Karrieresucht der Frauen sind schuld an den Krisen im Bett." Immerhin: Das erste "Frauenhaus" Italiens, in dem Misshandelte Schutz finden können, öffnete vor einem Jahr in Bologna seine Pforten.

DONNE IN CARRIERE

Jetzt schon sind die Langzeitfolgen des Geschlechterkampfes absehbar. Im Jahre 1996 wird es in Italien mehr Menschen im Alter von über 60 Jahren geben als Jugendliche unter neunzehn Jahren. Mit der niedrigsten Geburtenrate in Europa wird die italienische Bevölkerung in den nächsten drei Jahrzehnten um sechs Millionen Menschen schrumpfen und auf 51 Millionen Einwohner zurückgehen. Nur der Wandel in den Ansichten und im Handeln der italienischen Frau wird wohl kaum aufzuhalten sein. "Die Frauen sind längst der Eckpfeiler, der tragende Boden unseres Wirtschaftswunders", bekannte unlängst die Publizistin Marie Antonietta Macci-occhi. Ohne "Donne in carriere" (Frauen in der Karriere) geht kaum noch etwas im Land. Über 67 Prozent der Frauen sind mittlerweile im Dienstleistungssektor be-schäftigt. 32 Prozent sind in den Angestelltenberufen tätig. In den vergangenen fünf Jahren erhöhte sich der weibliche Anteil unter den Angehörigen der freien Berufe und der Unternehmerinnen sogar um 48 Prozent.

MANN IST EIN LUXUS

Und die Männer? "Der Mann ist ein Luxus, er bietet wenig Schutz, ist unwirt-schaftlich. Wir ernähren uns besser allein. Das Bemerkenswerte ist", sagt Grüne-Politikerin Letizia Battaglia aus Palermo, "dass die neuen Unterdrückungsversuche nicht von den Erzkonservativen kommen, sondern von den sogenannten Fortschrittlichen aus den angeblich progressiven Managerstuben und Gewerkschaften."

Immerhin - der Wandel im Denken der italienischen Frau brachte ein verblüffendes Umfrage-Ergebnis über die Sexualität am Arbeitsplatz zutage. Mehr als zwanzig Prozent der befragten Männer nämlich bekannten, "sexuellen Annäherungsversuchen" von Kolleginnen ausgesetzt zu sein. - Die Mehrheit der Männer hatte freilich nichts dagegen.