Dienstag, 12. November 1991

Im Leben von ganz unten nach ganz oben - Politikprofil der Bundesministerin Renate Schmidt























Biografie - Renate Schmidt (Mädchenname Pokorny) wurde am 12. Dezember 1943 im hessischen Hanau geboren. Nach der Vorstellung ihres Vaters, eines Kürschnermeisters, sollte Tochter Renate keine höhere Schule absolvieren, möglichst bald heiraten, Kinder bekommen und in der Zwischenzeit ein paar Jahre berufstätig sein - zur Aufbesserung der Haushaltskasse. Folglich ging Renate Schmidt ohne Abitur vom Gymnasium ab. Sie fing in der Fabrik ganz unten an - mit Akkordarbeit.

Im Jahre 1961 heiratete sie, mit achtzehn bekam sie ihr erstes und 1970 ihr zweites Kind. In Nürnberg qualifizierte sich Renate Schmidt in einem Großversandhaus namens Quelle erst zur Programmiererin, schließlich zur Systemanalytikerin.


1972 wurde sie als aktive Gewerkschafterin zur Betriebsrätin gewählt. Ein Jahr zuvor war sie der SPD beigetreten. Gemeinsam mit ihrem ersten Mann Gerhard Schmidt gründete sie im Jahr 1973 eine Gruppe der Sozialistischen Jugend Deutschlands - "Die Falken",die sie bis 1978 leitete. Ihr Mann Gerhard, ein Architekt und Hochbautechniker, gab 1974 seinen Beruf auf, um sich ganz als "Hausmann" um die Familie zu kümmern. Er starb 1984 an einer Herzmuskelentzündung. Sie hat aus erster Ehe drei Kinder und vier Enkelkinder.

Im Jahre 1998 heiratete Renate Schmidt in zweiter Ehe den Maler und Sozialwissenschaftler Hasso von Henninges.


Sie gehörte den Deutschen Bundestag von 1980 - mit kurzer Unterbrechung - bis 2009 an. In der Zeitspanne von 1997 bis 2003 fungierte Renate Schmidt als stellvertretende SPD-Parteivorsitzende. Bereits nach der Bundestagswahl 1987 rückte Renate Schmidt in den Führungszirkel der SPD auf. Sie wurde stellvertretende Fraktionsvorsitzende des Bundestages sowie Vorsitzende des Arbeitskreises "Gleichstellung für Frau und Mann." Dem Arbeitskreis gehören alle weiblichen Mitglieder der Fraktion sowie drei Männer an. In dieser Eigenschaft hat die Politikerin maßgeblich den "Gesetzentwurf zur Gleichstellung von Frauen und Männern im Berufsleben" beeinflusst, gestaltet. Bevor Renate Schmidt "Fachfrau für Frauenfragen" wurde, widmete sie sich dem Bafög und dem Tierschutz.

Von 1991 bis 2000 war die Nürnbergerin zugleich Landesvorsitzende der SPD in Bayern. Bei den Landtagswahlen 1994 und 1998 kandidierte sie jeweils als bayerische Spitzenkandidatin ihrer Partei für das Amt des Ministerpräsidenten. Sie konnte sich allerdings nicht gegen Amtsinhaber, dem CSU-Politiker Edmund Stoiber (1993-2007) durchsetzen. Vom 22. Oktober 2002 bis zum 22. November 2005 verantwortete Renate Schmidt im zweiten Kabinett Schröder als Bundesministerin den Bereich Familie, Senioren, Frauen, Jugend. Im Jahre 2009 zog sie sich aus der Bundespolitik zurück.


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Frauen an der Macht
Protokolle einer Aufbruchsära
athenäums programm
by anton hain, Frankfurt a/M
12. November 1991
von Reimar Oltmanns
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Einleitung

Renate Schmidt traf ich zum erstenmal auf einer SPD-Veranstaltung in Nürnberg. Es war Wahlkampfzeit. Ich kam von dort angereist, wohin Renate Schmidt, damals 36 Jahre alt, als Bundestagsabgeordnete wollte. Natürlich hatte mich die Bonner Männerwelt in den Jahren meines Korrespondenten-Daseins geprägt -- in meinen Wahrnehmungen, in meinem Unterscheidungsvermögen zwischen wichtigen Leuten und aufgeblähten Randexistenzen - und mir die Selektionsmaßstäbe in den Kopf gesetzt, ob jemand für die Politik tauglich ist oder nicht.

FRISCH UND FRÖHLICH


Beharrlich klopfte ich Kandidaten nach dem vorherrschenden Männer-Suchbild ab: Politik als Lebensinhalt, das Beherrschen von Taktik und Strategie im Dienst der Karriere und ein ausgeprägter Machtinstinkt. Konsequenterweise hatte ich das allseits verbindliche Verhaltenmuster übernommen, das Überlebensprinzip: "Immer frisch und fröhlich über deine Kaputtheit hinwegjonglieren, sonst nimmt dir niemand mehr etwas ab und du stehst bald allein im Wald. Sei im persönlichen Umgang nicht laut, sondern nett leise. Freue dich nach Maßen, denn Gefühle sind verräterisch. Beiss dir auf die Zähne, wenn dir nicht zum Lachen ist. Reiss dich zusammen und lass dich nicht hängen. Kopf hoch und nach vorn geblickt, wenn du down bist. Das Leben ist hart und will so genommen werden. Punkt!"

UNBEDARFTE NETTIGKEITEN

Zugegeben: Als Renate Schmidt mir im Nürnberger KOMM - jugendliches Kommunikationszentrum - gegenübersaß, war ich gleich damit beschäftigt, meine Schubladen aufzuziehen, die ich für Argwohn, Vorbehalte und unbedarfte Nettigkeiten reserviert hatte. Und ich dachte so vor mich hin: Was will diese nette Renate Schmidt ausgerechnet an den Schalthebeln der Macht in Bonn bewirken ? Sie wird wohl wieder einmal einen klassischen Fall der Frauen abgeben, die mit ihren Anspruch der Wirklichkeit den Krieg erklären. Und wahrscheinlich dort landen, wo viele ihrer Leidensgenossinnen gelandet sind - im Abseits, zur Freude und Befriedigung der Männerriege.

SCHICHTARBEITERIN

Da saß ich nun ihr gegenüber und hegte Misstrauen: Entweder ist sie total naiv und wird gerade deshalb von den SPD-Männern als weibliches Aushängeschild aufs Podest gehoben. Oder sie wird in Bonn bald nicht mehr die sein, die sie war, werden Ranküne und Intrigen sie allmählich zerfressen.

Ich hatte mir schon lange vorgenommen, minutiös den Zusammenhang von politischem Werdegang und seelischer Deformation nachzuzeichnen - von der Kandidatenkür unter raubeinigen Genossen bis hin zum Fraktionszwang in Bonn. Ich wollte dem chronischen Verstellungstrieben unserer Politiker-Klasse, genährt aus einem verzerrten Wirklichkeitsbewusstsein, aufgrund ihres Doppellebens, Doppeldenkens und Doppelrollenspiels nachgehen. Mich interessierte deshalb die Tatsache, wie eine um Anerkennung kämpfende Frau, im öffentlichen Auftritt gehemmt und unsicher zudem, es schaffte, den SPD-Männern ihren "Erbhof", genannt Bundestagsmandat, abzutrotzen. Und Renate Schmidts Ausgangsposition war zudem alles anders als glücklich: Ohne Abitur ging sie vom Gymnasium ab und verdiente sich ihr erstes Geld als Schichtarbeiterin in der Fabrik.

AUSSTEIGER-GENERATION

Als wir uns im Nürnberger KOMM trafen, waren wir beide als "Hoffnungsträger" auf einer SPD-Veranstaltung vorgesehen - zumindest laut Parteiregie. Die SPD versuchte den Kontakt zur damaligen Aussteiger-Generation zu halten und schickte Personen an die Diskussionsfront, die über Sensibilität und Glaubwürdigkeit verfügten. Eine auf Profitmaximierung ausgerichtete Wegwerf-Gesellschaft sah sich übergangen und links - rechts ist richtiger - liegengelassen: In der zweiten Hälfte der siebziger Jahre hatte sich dank der Jugend in der Bundesrepublik mehr verändert als in Jahrzehnten zuvor. Von der Mehrheit der Gesellschaft nicht registriert, war ein abgrundtiefer Riss zwischen der nachwachsenden Generation und der oft selbstgefälligen Erwachsenenwelt entstanden. Erstmals in der deutschen Geschichte stand ein Staat vor der Situation, dass ihm nicht nur ein paar Sekten, sondern ein beachtlicher Teil seiner jüngeren Jahrgänge wegkippten. Die scheinbar historisch verbriefte Selbstverständlichkeit, die Jugend übernehme schließlich die Werte der Erwachsenen, griff offenbar nicht mehr.

AUS DER WUNDERTÜTE

Renate Schmidt und ich hockten im KOMM wie Fuhrleute zusammen, bei Bier und Korn. Es war ihre Offenheit, ihr schalkhaftes Lachen, das mein vor allem Frauen in der Politik gegenüber kultiviertes Vorurteil aus den Angeln hob. Ihr Lachen signalisierte Lebensfreude und Durchsetzungskraft, von apokalyptischen Weltschmerz-Befindlichkeiten keine Spur. Sie sprach schnell, als wollte sie keine Zeit verplempern. Was sie sagte, war klar und pointiert.

LIEBLOSE REPUBLIK

Ja, ja, sie wolle nach Bonn, in die Arena männlicher Überheblichkeit, wo de déformation professionelle Zuhause ist, wo "diese im Windkanal geformten Figuren" - wie es ihr Kollege Dieter Lattmann (SPD-MdB 1972-1980) einmal formulierte - eine Sprechblase nach der anderen aufsteigen lassen. In Bonn wollte sie dem Männer-Gehabe Paroli bieten. Starke Worte, dachte ich. Einige Jahre später las ich im sozialdemokratischen Vorwärts ein Porträt der Renate Schmidt, mit der Überschrift: "Wie aus der Wundertüte". Genau diesen Eindruck machte sie auch auf mich.

Seit unserem ersten Gespräch habe ich mich intensiver mit dem Leben dieser Renate Schmidt, mit ihrem Denken, Fühlen und Handeln, beschäftigt. Ich begleitete sie auf ihren Terminen durch bayerische Dörfer und natürlich in Bonn, ging bei ihr zu Hause in Nürnberg ein und aus. Ich lernte die ihr nahestehenden Menschen kennen und auch jene, von denen sie sich - zumindest zeitweilig - abhängig glaubte.

BEI SCHMIDTS AM KACHELOFEN

Bei den Schmidts in der Goldweiherstraße war alles ganz anders, als ich es mir - "verbonnt" wie ich war - vorgestellt hatte. Bizarr schien mir das Leben der Schmidts auf den ersten Blick; ich sah nicht, dass sich in ihrem Familienkreis ein Frauen-Aufbruch andeutete, der Jahre später die gesamte Gesellschaft erfassen sollte. Die Schmidts waren auf ihrer Art des Zusammenlebens und in ihrer Alltagsbewältigung herkömmlicher Familien um Lichtjahre voraus. Der Ehemann Gerhard hatte vor fünf Jahren seinem Beruf als Hochbautechniker ade gesagt und kümmerte sich fortan als Hausmann um die Kinder, die Küche und den Kachelofen.

HAUSMANN GERHARD

Gerhard Schmidt machte auf mich in keiner Weise den Eindruck, dass sein Leben an der Seite einer Politikerin sinnentleert und er nun als Hausmann auf dem Abstellgleis gelandet sei. Im Gegenteil: Er nahm Aufgaben wahr als Ratgeber und Begleiter in den politischen Wirren. Nur hin und wieder stöhnte er in "der Art von Hausfrauen" über den vielbeschäftigten Partner. Ich notierte mir: "Gerhard hat das Mittagessen schon vorgekocht, Erbensuppe gibt es. Einfach deshalb, weil er so noch genügend Zeit fürs Staubsauen, Abstauben , Bettenmachen und Waschen hat." Auch erzählte er mir, dass er nie mit leerem Magen einkaufen gehe. Wenn er nämlich hungrig sei, koste der Einkauf gleich einen Zwanziger mehr. Im Laufe der Jahre habe er ohnehin gelernt, gezielt auf die Sonderangebote im Supermarkt zu achten. Und im übrigen: Es wird das gegessen, was er auf den Tisch bringt. - Rollentausch.

VILLA KUNTERBUNT

Gelegentlich ist Hausmann Gerhard seiner oft abwesenden Politikerin Renate gram. Meist dann, wenn sie die Bonner Geschäftigkeit mit nach Hause, in die Villa Kunterbunt bringt - "wo man eh so wenig Zeit füreinander habe". Laufend bimmelt das Telefon, unlustig dreinschauende Männer mit Flanell-Gebaren buffen die Tür auf. "Dann geht es bei uns zu wie im Taubenschlag oder wie bei Hempels unter dem Sofa; das sollen die doch gefälligst in Bonn zwischen ihren ungebrauchten Ikea-Möbeln ausmachen; doch da werden dann meistens nur die Stimmen für irgendwelche Delegierten-Versammlungen oder Parteitage hochgerechnet " - so der Ehemann Gerhard. Seiner Renate konzediert er einen auf Enttäuschungen gefassten Idealismus. Irgendwann wird dieses Gebäude jedoch zusammenkrachen, weil sie in Bonn, in dieser Intrigensuppe, nicht mehr durchhält. Aber immerhin sei er dann ja noch da, der sie auffangen könne.

SELBSTWERTGEFÜHL

Gezielt gedemütigt in seinem Selbstwertgefühl sah sich Hausmann Gerhard allerdings, als die Münchner Abendzeitung in ihrer Nürnberger Lokalausgabe mal wieder unter chronischer Themennot litt. Gerhard Schmidt in seiner Gutmütigkeit ließ sich ahnungslos als "Paradiesvogel" zum Spott der männlichen Leser vorführen. Nach dem Motto: Männer guckt mal, welche Flops unter euch sind!

Dabei war seine Idee gewesen, den Männern zu zeigen, dass es möglich ist, als Mann mit dem Rollentabu zu brechen. Fast eine Seite war dem Boulevard-Blatt jene "human-touch-story" wert. Schlagzeile: "Seine Ehefrau machte Karriere im Beruf und in der Nürnberger SPD - Bügelfreie Wäsche mag Hausmann Schmidt sehr." Auf den Bildern saugte "Putzteufel Gerhard" den Teppich, in der Küche kochte der "Chef höchstpersönlich" wie in seiner "gemütlichen Werkstatt", und für einen abendlichen Politikempfang im Hause Schmidt arrangierte er ein üppiges und beschauliches Blumenbesteck. Zu guter Letzt wurde er mit seinen Berichten aus der "zünftigen Männergesellschat" zitiert: "Einer meinte mal, dass ich ein prima Kumpel sei, auch wenn ich den ganzen Tag daheim hocke. Aber vielleicht haben die Männer, wenn sie über mich lächeln Angst, dass ihre Frau auf die Idee kommen könnte, beruflich Karriere zu machen."

VERWEICHTLICHER MUTTER-JUNGE

Gerhard wagte sich vierzehn Tage nicht mehr vor die Tür, mied den Supermarkt und die Kneipen - gehänselt wurde er freilich weiterhin. Als ich mit dem engagieren Sozialdemokraten Gerhard Schmidt im Arbeiterviertel Nürnberg-Zabo eines Abends eine Biertour machte, lebten an den Kneipentheken schnittpunktartig aggressive Männer-Ängste auf - Ängste der Männer, die nach neuer Nahrung schielten und deshalb Hausmann Gerhard stets willkommen hießen. Mal unkten Lachfrösche, es müsse für in zu Hause am Kopftopf doch arg langweilig sein. Mal wurde er als Schlappschwanz tituliert, der ja sogar seinen Ehering an der linken Hand trüge. Mal war er ein verweichtlichter Mama-Junge, ein beruflicher Versager, ein Nassauer obendrein, der sich noch immer sein Taschengeld zuteilen liesse. - Bierlallende Männerbünde zur Aufbruchszeit der Frauen.

DER ZUG FÄHRT PÜNKTLICH

Szenenwechsel: Freitag, Bonner Hauptbahnhof, Gleis zwei. Der Intercity Zug Germania fährt um 11.23 Uhr nach Nürnberg. In den Sitzungswochen des Parlaments versucht Renate Schmidt , diesen Zug zu bekommen. Häufig reist sie nicht allein. Auch ich bin dieses Mal mit von der Partie. Auf mich macht sie einen kleinlauten, abgekämpften Eindruck. Die Angespanntheit, die sie in Bonn unter Strom setzt, weicht allmählich der Leere: Selbstzweifel nach Feierabend. Die Woche über in Bonn: das bedeutet für sie Sitzungen über Sitzungen in verqualmten Räumen bis tief in die Nacht. Unterm Strich ist wieder nichts Sonderliches herausgekommen; ewiges Wortgeklingel und nassforsche Schaustellerkünste vor Mikorofon und Kamera, von ihr "Polit-Entertainment" genannt. Ermattet sagt sie in meine Richtung: "Die Männer sitzen da und bestätigen sich laufend nur gegenseitig, wie wichtig sie doch für dieses Land seien, obwohl sie in Wirklichkeit allesamt vernichtend wenig voneinander halten. Das ist einfach zum Kotzen, wie sich da eine Fiktion an die andere reiht."

VERSAGER-ÄNGSTE

Es ist sicherlich kein Zufall, dass sie sich in solchen Momenten daran erinnert, wie ihr vor Weihnachten 1979 die Kandidatur für diesen Bundestag angeboten worden ist. "Ich hab' es mir schlicht und einfach wie die meisten Frauen nicht zugetraut." Aber sie ging. Auch wenn sie die Versager-Ängste mittlerweile überwunden hat, nasse Hände hat Renate Schmidt noch immer, wenn sie vorn am Rednerpult des Plenums gegenüber der Männer-Meute Stellung bezieht. Und vor allem dann, wenn diese Herren darauf erpicht sind, sie zu diskreditieren, ihr die Ernsthaftigkeit ihres Anliegens zu bestreiten, sie zum lächerlichen, unbeholfenen "Schießbuden-Fräulein" abzustempeln. Zwischenrufe wie "Sie sind sicherlich ganz gut im Bett, aber ..." oder "Zur Sache Schätzchen, Sie reden besser als Sie aussehen" sind keine Seltenheit: Fünfzehn Minuten redete die Frau Abgeordnete Schmidt-Nürnberg, und das Protokoll des Bundestages verzeichnet insgesamt 47 Unterbrechungen dieses Kalibers, Sie sind ein greller Farbtupfer im Sittengemälde dieser Republik, Ausdruck des männlichen Trotz-Prinzips: Die Frauen bellen ihre Emanzipationsrhetorik, die Karawane zieht weiter.

KATEGORIE: KARRIERE-MANN

Dabei wissen Frauen wie Renate Schmidt, wie weitverbreitet die Kategorie Karriere-Mann ist. Da sitzen Politiker, die sich mit ihrem Getue nicht nur Amüsement verschaffen, sondern gleichsam ihren Identitätskern zu verstecken suchen; vor sich selbst flüchtende Männer mit ihren fortwährenden sie bestätigenden "Beziehungskisten".

BUSEN-GRABSCHER

In die Bonner Annalen eingegangen ist die "Busengrabscher-Geschichte" des Bundestagsabgeordneten der Grünen, Klaus Hecker. Er musste bekanntlich 1983 seinen Platz räumen, weil die grünen Frauen nicht über seine sexuelle Anmache geschwiegen haben. Der Herr Abgeordnete Hecker liebte es, in den Büro-Hinterzimmern des Bundestages seinen Kolleginnen an den Busen zu greifen. Immerhin kann sich Hecker eines zugute halten: Schneller als geplant schrieb die damalige Familienministerin Rita Süssmuth (1985-1988) ein Forschungsprojekt aus: "Die sexuelle Belästigung der Frauen am Arbeitsplatz" - außerhalb Bonns, versteht sich.

SEX UND POLITIK - EIN TABUTHEMA

Aus gutem Grund ist auch zu Zeiten des Frauen-Aufbruchs im offiziellen Bonn Sex und Politik eines der Tabu-Themen. US-Wisscnschaftlerinnen gingen n einer Forschungsstudie ("A sexuel profil of men in power") dem Spannungsverhältnis von Macht und Sex nach. Danach benötigt ein Politiker eine immer größere Dosis, um dieselbe Euphorie zu empfinden. Und weil Politik nun mal süchtig mache, müsse der Politiker größere Erfolge und Siege verbuchen , um sein minimales Wohlbefinden zu erreichen. Dies führe, so die US-Studie, zu dem zwanghaften Drang, andere zu beherrschen, präge die Atmosphäre von Dominanz und Kontrolle in seinen Büros ebenso wie sien verstecktes Sexualleben. Der Polit-Macho sei ständig auf der Jagd nach Frauen, nach symbolischen, meist zwanghaften sexuellen Machtspielen. Das ist in Washington nicht anders als in Bonn oder auch Berlin.

ANGEWIDERT UND ABGEHÄRTET

Angewidert und abgehärtet könnte frau in Bonn und Berlin zur Tagesordnung übergehen. Renate Schmidt kann und will gerade das nicht. Sie ist nicht nach Bonn gekommen, um sich hier von den Männern neu sozialisieren zu lassen. Nein - im Gegenteil: "Die Männer müssen vielmehr mit sanfter Gewalt zur Übernahme der Verantwortung gezwungen werden. Ich bin ich."

Ergo: Der Frauen-Marsch durch die Institutionen hat längst begonnen. Es ist ein Langlauf gegen die hier agierenden Männer der Macht, die sich in dieser bedrückenden Atmosphäre stets aufs neue überflügeln müssen, Herkunft wie Inhalte getrost beiseite schieben und Petitessen zu Hahnenkämpfen stilisieren und nicht selten brenzlige Grenzfälle für "das Maß der Mitte" halten.

ROLLENSPIEL: POLITIK-MAMA

So kommt es nicht von ungefähr, dass das Wort "Mensch" zum Hauptvokabular der Renate Schmidt zählt. "Ich halte mich für eine Seele von Mensch und vermittle hoffentlich, dass ich Menschen mag." Oder: "Für mich ist es die Motivation in der Politik, dsass Menschen ein Gefühl dafür bekommen, dass das Leben durch Solidarität besser wird. Das ist eine Frage des Systems. Die Anlage zum Guten steckt in jedem." Aber auch: "Es macht mich krank, wie Menschen oft mit Menschen umgehen." Und so, als habe sie schon ihre neue Funktion als Bonner Politik-Mama übernommen, fügt sie ironisch hinzu: "Alle Mühseligen und Beladenenen finden bei mir ein Zuhause."

KÖFFERCHEN MIT BIERDOSEN

Auf der Bahnfahrt am besagten Freitag nach der Sitzungswoche gen Nürnberg hockt im Zugabteil vis-à-vis von uns ein offenkundig mitgenommener älterer Mann, den ich auf Anhieb nicht gleich erkenne. Nur ein Diplomaten-Koffer deutet darauf hin, dass er irgendwie etwas mit der Bonner Politik zu tun haben müsse. Als es dann im Zugabteil zischte, sein in der Aktentasche verstautes Bierdosen-Arsenal die Aufmerksamkeit auf ihn lenkte, war ich keineswegs überrascht. In Bonn nichts Neues. Schließlich habe ich sie hinreichend oft beobachten können, diese Repräsentanten deutscher Politik.

"SCHLAUE EGON"

Mit diesen Bierdosen knackenden Herren hatte es eine besondere Bewandtnis. Es war Renate Schmidts langjähriger SPD-Kollege vom Nürnberger Nachbarwahlkreis, Egon Lutz (*1934, SPD-MdB 1972-1991). Mit ihm zusammen stellt sie in Nürnberg und Umgebung Öffentlichkeit her. Kein Zeitungsfoto ohne Lutz, der sie zuweilen in inszenierter männlicher Siegerpose eigens fürs Wahlvolk emphatisch umarmen darf. Das heißt aber aber auch, keine Profilierung ohne den anderen in Nürnbergs Arena sei es beim Kaninchenzüchterverein, auf den Parteitagen oder bei den Philatelisten. Schließlich wies angeblich der "schlaue Egon" die damals unerfahrene Renate Schmidt in die taktischen Finessen der Macht ein. Mittlerweile hat er beinahe zwanzig Jahre Bonner Abgeordneten-Dasein auf dem Buckel - zwanzig Jahre in der SPD-Bundestagsfraktion, die ihn gekennzeichnet haben. Deutlich ist Lutz sein Leidensdruck anzumerken. Wie so viele Männer vor und nach ihm glaubte auch er, der einstige Senkrechtstarter aus dem Gewerkschaftsapparat, an seinen jähen Politik-Durchbruch. Jahre verwandte er darauf, Ernst Blochs (*1885+1977) Prinzip Hoffnung für sich umzusetzen: Staatssekretär hatte er werden wollen, ob im Arbeits- oder Verkehrsministerium - egal, Hauptsache Staatssektretär. - Gescheiterte Männer-Karrieren, über die niemand sprechen mag. Verlierer-Typen.

GEKRÜMMTE FIGUREN

Verlierer bekommen eben kaum Zuspruch und Aufmerksamkeit, bleibt meist nur heimlicher Spott. Der ist ihnen sicher, gewiss und das nicht zu knapp. Das ist in der Politik-Klasse nicht anders als überall in den von Konkurrenzkämpfen zerrissenen Betrieben dieser Republik. Zwei Bonner Politiker in einem Zugabteil, die für mich Auf- und Abbruch repräsentieren. Dass diese bizarre Konstellation schon recht bald das ganze Land erfassen sollte, konnte ich damals, im Jahre 1982, noch nicht erahnen. Dort der gebrochene Mann, der sich in der Hauptstadt verausgabt und verloren hatte, weil ihm die Amts-Mächtigen nicht jene Amts-Identität gaben, wofür er sich jahrelang krummgelegt hatte. Hier eine Frau, deren Zuschnitt schon ein anderes Verhalten verrät. "Ich bin die Renate", sagt sie oft schlicht, wenn sie auf fremde Menschen trifft, die sie begrüßen will. Sie deutet auf Egon Lutz und meint vielleicht zahlreiche Männer in Bonn: "Der hat sich in dieser Mühle verschleißen lassen. Das will ich nicht." Und: "Irgendwann will ich mal etwas anderes machen. Vielleicht eröffne ich einen Laden, koche viel und gut, sammle Pilze und lese Krimis. In diesem Bonn kommt man eben zu nichts."

GESPANN: SCHMIDT / LUTZ

Einige Jahre sind mittlerweile vergangenen. Nich immer fährt das Gespann Schmidt/Lutz freitags nach einer enervierenden Sitzungswoche gen Nürnberg, Aus der Renate Schmidt von einst, die sich manchmal für ihre Existenz in der Männer-Welt entschuldigte, ist unterdessen die stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende des Bundestages geworden. - Der Frauen-Aufbruch und seine Schnittpunkte. Schon ihr großes Büro im Bundeshaus, mit Vorzimmer, Referentinnen und Sekretärinnen, deutet daraufhin, dass diese Frau mitstrickt an der Macht und den Machbarkeiten in dieser Republik: Jahrelang unterdrückte Frauen-Visionen werden allmählich eingeklagt.

DAUERWELLEN IM DAUER-WAHLKAMPF

Renate Schmidt ist schlanker geworden - trägt ein knallrotes Kostüm auf Taille, ihre Haare sind leicht ergraut. In der vergangenen Situngswoche legte sie mehr als sechstausend Kilometer zurück. Dauerwahlkampf in Deutschland. Wahlkampf für Frauen uind für die Sozialdemokratie. Da kann es kein Privatleben mehr geben, selbst nicht in den kleinsten Nischen.

Es ist ein Tag wie - beinahe - jeder andere im Leben der Renate Schmidt. Aktion "Durchrauschen" ist angesagt, Besuch in einem Münchner Altenheim, Podiumsdiskussion über Wohnungsbau, Visite in einem Kindertagesheim, Präsidiumssitzung der bayerischen SPD; um fünf Uhr mit dem Zug nach Nürnberg, mit dem Mietwagen weiter nach Ansbach, um acht Uhr auf dem Podium, Thema: Rentenpolitik. Sie macht dazu die Fußnote: "Ich halte diese Art von Politik für ziemlich albern" - und verschwindet zum nächsten Termin.

FRAUEN-AUFBRUCH FRISST KÄMPFERINNEN

Als ich mich von ihr im Bundestag verabschiedete, sagte ich zu ihr, sie möge doch aufpassen, dass dieser hoffnungvolle Frauen-Aufbruch nicht jene Frauen fresse, die ihn erkämpft haben, Denn Frauen-Kultur - das sei doch - dies hätte ich als Mann gelernt - eine andere Besinnung, ein anderes Politik-Verständnis. Es könne doch nciht angehen, sich in einem additiven Ergänzungsverhältnis zu den Männern zu sehen, im Terminstress Halt zu suchen und sich dort zu verbrauchen. Renate Schmidt stand schon wieder absprungbereit an der Türschwelle, und ihre Sekretärin Frau Walter redete dazwischen, weil sie München
an der Telefonstrippe hatte.

VOM FREUND VERLASSEN

Wenige Monate später klingelte Renate Schmidt bei mir zu Hause an. Traurig war sie, niedergeschlagen. Ihr Freund habe sie gerade verlassen, und das ausgerechnet mit der Bemerkung: Sie sei ja sowieso nie da, ständig auf Achse. Das hätte wohl alles keinen Sinn mehr mit ihr. Unter einer Partnerschaft stelle er sich etwas anderes, Intensiveres vor. - Rollentausch. Und weiter: "Aber wenn wir Frauen in der Politik Erfolg haben wollen, müssen wir so leben und arbeiten." Und sie fügt selbstzweifelnd hinzu: "Was ist denn eigentlich Erfolg?"

Im Laufe der Zeit ist es zunehmend einsamer um Renate Schmidt geworden - zumindest privat. In der Tat ist es extrem schwierig, unter diesen von Männern geschaffenen Politik-Bedingungen, dauerhafte Beziehungen aufzubauen und zu halten. Renate Schmidt: "Da gibt es dann plötzlich niemanden mehr, den ich anrufen und fragen kann, ob man nicht gemeinsam Silvester feiern sollte." - Der Frauen-Aufbruch in der Politik und sein einstweiliger Preis.



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AUFBRUCH DER RENATE SCHMIDT:
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"In Bonn bin ich nicht auf einer Isolierstation oder in einem Treibhaus. Tag für Tag holt mich die oft bedrückende Wirklichkeit vieler Menschen ein. Wir haben hier viel auszuhalten - Frauen und Männer völlig unterschiedslos. Vielleicht lastet der Druck auf den Frauen eine Spur mehr. Es kann aber auch sein, dass wir Mechanismen entwickelt haben, damit eher zurechtzukommen mit dieser ständigen Überforderung, in die wir uns selber hineintreiben und in die wir hineingetrieben werden. Der Anspruch, den Menschen an dich stellen, ist enorm. In jeder Bürgersprechstunde wird mir dies erneut klar. Die Leute machen ja fast ausschließlich die Politik für ihr persönliches Glück oder Unglück verantwortlich.

Ich kann mich dieser Verantwortung nicht einfach entziehen. Da kommen Menschen erwartungsvoll in meine Sprechstunde - und ich weiß wirklich nicht, was ich für sie tun kann. Das bereitet mir zuweilen schlaflose Nächte. Aber es ist nun einmal so: Es gibt menschliche Schicksale, die mich überfordern. In solchen Situationen sage ich mir immer zuerst, um Himmels willen, das kann doch wahrlich nicht meine Aufgabe sein. Doch dann kommt sogleich der zweite Gedanke, nämlich die Forderung an mich, dass ich das nicht einfach wegdrücken, einfach zur Tagesordnung übergehen kann. Es geht hier doch um menschliche Schicksale - von Sozialhilfeempfängern, von Leuten, die seit vielen Jahren arbeitslos sind. Ich werde wieder Briefe schreiben, jemanden vom Arbeitsamt auf die Pelle rücken, versuchen, die Verbindungen, die ich einmal hatte, aufleben zu lassen. Das alles werde ich versuchen, und doch weiß ich, im Grunde genommen erreichst du wenig, um nicht zu sagen, überhaupt nichts: Du änderst die Verhältnisse nicht.

Ich habe nicht die Macht, die man mit meiner Position verbindet, so als könnte ich schalten und walten, wie ich wollte - nur weil ich hier im Parlament in der "Zentrale der Macht" sitze. Ich weiß doch ganz genau, wäre ich Personalchefin eines Betriebes, müsste ich glasklar Markt-adäquate Maßstäbe an die Menschen anlegen. Es wäre schließlich meine Aufgabe, effiziente Arbeitskräfte einzustellen. Und an dieser Erfüllung meiner Funktion würde ich ja selbst gemessen Das heißt, ich weiß nur zu gut, dass ich als Personalchefin Menschen mit bestimmten psychischen Konstellationen nicht einstellen würde - dürfte. Ich weiß, dass für diesen Menschen, der bei mir in der Sprechstunde sitzt und glaubt, ich sei die personifizierte Macht, dass für diese etwas grundlegend anderes notwendig wäre. Aber die Zeit habe ich nicht, weder die Ausbildung noch die Kapazität , um dem, der mir mit großen Erwartungen gegenübersitzt, wirklich zu helfen - indem ich ihm vielleicht sage: 'Der und der bist du, und in dieser Verfassung kannst du nicht in einen normalen Betrieb hinein. Das wirst du nicht durchhalten, weil du für dich und deine Kollegen im Arbeitsablauf eine Belastung bist. Du würdest den Betriebsablauf nur stören, weil du nicht 'funkionierst'. Wenn du da unbedingt hin willst, weil du rein musst, denn du musst schließlich Geld verdienen -, dann solltest du erst einmal eine psychotherapeutische Behandlung beginnen. Dann musst du noch dieses oder jenes lernen. Und dafür brauchst du Geld, denn ohne Geld läuft nichts.'

All das müsste ich ihm sagen. Und ich weiß doch, diese Möglichkeit gibt es noch nicht, auch wenn ich sie mir gut vorstellen kann. Das ist die permanente Überforderung, mit der wir konfrontiert sind. Unsere Macht wird von draußen völlig überschätzt. Als glaubte man, wir säßen an einem Schalthebel und könnten per Dekret und Einfluss von oben die gesellschaftlichen Instrumentarien entscheidend bewegen. Wir können aber nicht die Mechanismen und Strukturen, die unser aller Leben bestimmen, einfach aushebeln. Nur: das lässt sich oft nicht so einfach sagen. Solche Gespräche sind in ihrem Strickmuster weitaus komplizierter. Von der hohen Erwartungshaltung lassen wir uns anstecken und stürzen uns allzu oft in Scheinaktivitäten - irgendwelche Telefonate und Briefe - , weil wir nicht den Mut aufbringen, unumwunden zu sagen: 'Das geht nicht.' Wir alle sitzen in einem Boot, das sich Bonn nennt, und jeder legt sich kräftig in die Riemen. Das sieht dann so aus, als könnten wir alles lösen. Ich stemme mich dagegen und versuche, das Land und die gesamtgesellschaftliche Entwicklung nicht aus den Augen zu verlieren. Das omipotente Gehabe in den Bonn und anderwo ist Augenwischerei. Manchmal ist das eine inszenierte Fassade aus der Kinowelt.

Aber was wir allerdings können, das ist: ein Problem nach dem anderen zu lösen, Schritt für Schritt. In Einzelgesprächen, Veranstaltungen, Diskussionen. Dabei merke ich, dass ich im Grunde genommen Optimistin bin, und zwar im positiven Sinne. Ich stelle mir immer vor, wie es gehen könnte. Vielleicht habe ich ein zu idealistisches Menschenbild. Manchmal erwische ich mich auch bei dem Gedanken: Wenn sie das doch nur so machen würden, dann ginge es bestimmt voran. Aber das hängt mit meiner perspönlichen Lebenserfahrung zusammen.

Ich habe nämlich in meinem Leben gelernt, nur wenn ich beharrlich bin, mich mit anderen zusammentue und versuche, nicht gleich die ganze Welt zu verändern, sondern zuerst das, was einem am nächsten ist, das heißt sich zu beschränken und konkrete Ziele zu verfolgen - nur dann sind die Erfolge da, ist man einen Schritt weiter.

Doch die Bereitschaft, politische Zusammenhänge zu begreifen, komplizierte Sachverhalte zu verstehen, hat rapide abgenommen. Einfach deshalb, weil die Leute nicht mehr willens sind, all das aufzunehmen und sich damit unentwegt auseinanderzusetzen. Das hat mit dem vielzitierten Glaubwürdigkeits-Verlust oder der vielzitierten Parteienverdrossenheit zunächst einmal überhaupt nichts zu tun. Die Menschen schrecken vor der Kompliziertheit der Sachverhalte zurück. Ich werde dafür bezahlt, dass ich mich jeden Tag zehn bis vierzehn Stunden mit Politik beschäftige.

Aber selbst ich brauche mehrere Tage, um Neuerungen auf einem Gebiet, auf dem ich mich normalerweise auskenne, zu verstehen. Da frage ich mich, wie soll ein Mensch, der in einem völlig anderen Beruf schuftet und auch nicht an zusätzliche Informationen ohne weiteres herankommen kann - wie soll er das alles begreifen. Machen wir uns nichts vor, die Infomationen in den elektronischen und gedruckten Medien sind auch deshalb reichlich verwirrend, weil die Journalisten selber leider nichts mehr verstehen.

Seit Wochen versuche ich, den Journalisten klarzumachen, dass der letzte Rentenkompromiss die Benachteiligung der Frauen nicht aufhebt. Es will mir nicht gelingen, mein Anliegen in die Öffentlichkeit zu bringen. Und zwar deshalb, weil die Journalisten es nicht kapieren. Es ist zu kompliziert, sie können daraus keine lockere Story stricken. Jetzt muss ich mir ausdenken, was ich ihnen für eine Geschichte liefern kann, als Themenaufbereiterin sozusagen. Ich weiß dann auch, das, was sie dann veröffentlichen werden, wird höchstwahrscheinlich in der Sache nicht hundertprozentig korrekt sein. Aber vielleicht kriege ich ein paar fette Überschriften. Die brauche ich, um hier Druck machen zu können.

Ich versuche, den Leuten zu verdeutlichen, dass wir in einer Gesellschaft leben, in der es eine allgemeine Wohlstandsmehrung, von bestimmten Gruppen abgesehen, nicht mehr geben wird, dass wir weniger konsumieren, uns an eine andere Art des Lebens gewöhnen müssen. Je früher, desto besser. Das paßt offenkundig nicht in das auf Wachstum trainierte Lebenskonzept. Wenn ich das in Referaten, Diskussionen und Versammlungen klarzumachen versuche, auch dass wir für die Lebensumstände in Mexiko, Bangladesh oder in Afrika verantwortlich sind, dann werde ich als spinnerte Moralistin angegriffen, als jemand, der gegen die deutschen Arbeitnehmer sei. Spinnert sei ich zum Beispiel auch, wenn ich auf einem Gewerkschaftskongress kritisiere, dass es schlicht Unsinn ist, eine Milliarde Euro auszugeben, um per Bahn von Nürnberg nach München fünfzehn Minuten schneller zu sein, gleichzeitig aber die ländliche Anbindung dieser Zugverbindung zu kappen und den öffentlichen Nahverkehr auf diese Weise zu beseitigen. Seitdem ich kein Auto mehr habe, bin ich mir verstärkt darüber im klaren, um was es in der Verkehrspolitik kommender Jahre gehen sollte. Ich bin auf intakte Zugverbindungen angewiesen. Aber diese Rede wurde bei den Gewerkschaftern als ein entschieden zu "grünes" Plädoyer ausgelegt. Schon die Tatsache, dass ich mein Auto abgeschafft habe, ist vielen suspekt.

In Nürnberg fahre ich meist mit dem Fahrrad und versuche, auf die Blechkiste zu verzichten. Mir ist klar, dass es so nicht weitergehen kann - nicht zuletzt aus Gründen der Umwelt, der Energie, auch verkehrspolitisch nicht. Es wäre doch töricht von mir. wenn ich mich selbst nicht entsprechend verhalten würde. Gut, wenn jemand in der Oberpfalz wohnt, dann braucht er einen fahrbaren Untersatz. Aber für jemanden im Ballungsgebiet besteht keine Notwendigkeit mehr, ein eigenes Auto zu haben. Viele empfinden das als eine unzumutbare Einschränkung der Lebensqualität. Entscheidend ist doch, die Verkehrspolitik angesichts der immensen Gefahren vernünftig zu regeln. Das wollen viele freilich nicht begreifen, die hören nicht mehr zu. Da kann ich erklären, so viel ich will.

Ähnlich ergeht es mir an den Informationsständen mit der Asyl-Frage. Die Menschen wollen keine Erläuterungsversuche mehr hören, sie wollen ihren Missmut abladen. Sie wollen dir sagen, dass die SPD spinnert ist; sie wollen nichts, aber auch gar nichts über die Genfer Flüchtlingskonvention hören. Und wenn ich versuche zu differenzieren und zu erläutern, dann schalten sie ab: 'Das Boot ist voll' und damit basta. Was spielt es da für eine Rolle, dass wir heute wegen der Pille weniger Menschen in Deutschland sind. Was wäre denn, wenn es mit der vorhergehenden Geburtenrate so weitergegangen wäre?

Andererseits sind die Menschen im Vergleich zu früher sensibler und informierter. Sie engagieren sich gerade für Gerechtigkeit auch im kleinsten. Sie kämpfen dafür, dass es in diesem Land gerecht zugeht. Diese Art von Gerechtigkeit könnten wir letztendlich nur herstellen mit einen wahnsinnig großen bürokratischen Apparat. Mit der Folge, dass selbst kleinere Freiheiten drastisch eingeschränkt würden. Das halte ich für ausgeschlossen. Auch weiß ich nicht, ob die Einzelfall-Gerechtigkeit durchgängig funktioniert, ob also gesetzliche Lösungen zu allen Wechselfällen des Lebens tatsächlich mehr in Ordnung bringen. Soll das vorher in der Politik wirklich bis ins kleinste Detail perfekt geplant werden? Wer kann diese totale Durchorganisation wirklich wollen?

Kein Sozialdemokrat hat im Jahre 1975, als das Fremdengesetz in der heutigen Form und das Abkommen mit Polen beschlossen wurden, daran gedacht, dass im Jahre 1989 Monat für Monat zigtausend Polen hierherkommen und behaupten, sie seien Deutsche, und Leistungen genau auf Grund dieses Gesetzes verlangen. Kein Mensch hat damals an so etwas gedacht. Was damals richtig und vernüntig war, entpuppt sich heute als blödsinnig und falsch. Das forciert unweigerlich das Gefühl von Ungerechtigkeiten.

Oder das Bafög, das war wirklich ein gutes Gesetz. Die CDU/CSU/FDP-Koalition (1982-1998) konnte es sehr leicht kippen, weil es viele Einzelfälle gab, die den Menschen arg aufstießen. So erhielt der Sohn eines gut verdienenden Arztes Bafög, weil sein Vater irgendwelche Abschreibungsmöglichkeiten vorweisen konnte. So etwas ist leider nicht auszuschließen. Der Gesetzgeber kann nicht alles regeln, für jede Schlitzohrigkeit vorsorglich einen Paragrafen parat haben. Es wird immer Lücken geben, die ausgenutzt werden. Aber viele Menschen sind nicht mehr bereit, das hinzunehmen. Den Verdruss kriege ich manchmal ungeschützt ab - und habe nicht einmal Gelegenheit, die ursprüngliche Absicht zu vermitteln. Gleichzeitig sind wir hier in den Regierungs- wie auch Parlamentsapparaten viel zu schwerfällig. Statt zu sagen: So, jetzt ändern wir diesen Punkt, nicht mehr, wird gleich alles über den Haufen geschmissen. Und dann werden wieder neue Ungerechtigkeiten geschaffen.

Klar, ich selbst bin auch nicht durchgehend gut, und habe meine Macken. Und ich bin mir völlig darüber im klaren, dass ich manchmal etwas anders machen sollte, Aber das schaffe ich dann nicht, eben weil ich ein ganz normaler Mensch bin. Die hehren Ansprüche, die Rita Süssmuth (Bundesministerin für Jugend, Familie, Frauen, Gesundheit,1985-1988, Präsidentin des Deutschen Bundestages 1988-1998) in ihrer Rede an uns Abgeordnete adressiert hat. Natürlich möchte jeder Mensch ein guter Mensch sein, ein Mensch also, der seinen eigenen moralischen Prinzipien folgt. Und das gilt für einen Abgeordneten wie für jeden Menschen. Wir sind doch um keinen Deut besser. Auch wir verstoßen ab und an gegen unsere moralischen Prinzipien und tun etwas, was wir an, was wir an und für sich mit uns nicht vereinbaren können - das steht außer Frage. Rita Süssmuth hat uns Abgeordnete auf ein zu hohes Podest erhoben. Ich möchte gern nach wie vor die Renate Schmidt sein, wohnhaft in einem vergammelten Haus in der Goldweiherstraße in Nürnberg. Dort lebe ich schon seit Jahrzehnten. Und dort werde ich auch dann bleiben, falls ich jemals Ministerin (2002-2005) werden sollte - und ich werde weiterhin mit meinem Fahrrad um die Ecken kurven und mit der Verkäuferin über den Butterpreis schwatzen. Ich möchte hier in der Hauptstadt das Gefühl behalten, ich kann wieder zurück ohne Verluste.

Ich war gerne Betriebsrätin und gerne in der Datenverarbeitung, Momentan bin ich noch gerne hier in Bonn, und ich denke, meine nächste Arbeit werde ich auch gerne machen, ob als Ministerin oder anderswo. Natürlich würde ich mich freuen, wenn ich in ein sozialdemokratisches Bundeskabinett käme, weil es aus meiner Sicht eine Menge anzupacken gibt. Ich werde aber keine Träne vergießen, wenn dieser Zug an mir vorbeirauscht. An meinen persönlichen Leben wird sich in den Grundzügen nichts ändern. Ich werde, auch wenn das manchem unverständlich ist, mein Leben wie bisher leben. Ich werde nach wie vor keine Hausangestellte beschäftigen - na ja, vielleicht lasse ich mal mein Haus verputzen; bevor alles abbröckelt.

Aber ich lege Wert darauf, dass ich bei Veranstaltungen als erste begrüßt werde. Nicht, weil ich die Frau Abgeordnete bin, sondern weil als Vertreterin des Souveräns agiere, als Volksvertreterin. Da reagiere ich sehr allergisch. Doch die Renate Schmidt, die möchte ich mir so gut wie irgend möglich erhalten. Manchmal geht es da recht heftig in mir zu, denn das ist nicht leicht. Im Moment habe ich deshalb ziemliche Konflikte mit meinem Freund. Er hat den Verdacht, dass die Bundes-Politik und die damit verbundene Öffentlichkeit meines Lebens mich stark verändern, dass ich das positive Geschehen zu sehr in mein Leben, in meine Gefühlswelt einbeziehe. Ich hingegen meine, dass er da ungerecht ist.

Er war Anfang der siebziger Jahre in Chile, wurde dort unter dem Diktat des Generals Augusto Pinochet (*1915+2006) im Jahre 1973 im Fußballstadion in Santiago gefangen gehalten, gefoltert. Mit großer Mühe ist Thomas von meinem Kollegen - damals war ich noch nicht im Bundestag - herausgeholt worden. Zurück in Deutschland , wollte er das Protokoll seiner Erfahrung in chilenischen Gefangenenlager an und unter die Menschen bringen. Aber hier interessierte sich kaum noch jemand dafür. Sein Schicksal und das Schicksal Tausender ermordeter, gefolterter Menschen schienen bereits in dieser atemberaubenden Schnelllebigkeit dieser Jahre der berühmte Schnee von gestern zu sein. Er schreibt jetzt Bücher, forscht und arbeitet als Taxifahrer oder Museumspädagoge. Wir beide sind uns freilich nicht so sicher, ob wir zusammenbleiben können, wollen, sollen ... Vielleicht hat sich unsere Gemeinsamkeit ja überlebt.

Wir haben jedenfalls unsere fortwährenden Auseinandersetzungen. Er definiert sich im Gegensatz zur etablierten Gesellschaft, die ich wiederum für ihn verkörpere. Abgrenzung. Ich bin nämlich jene, die nachweislich Erfolg hat. Da ist bei ihm Skepsis angesagt. Er will nicht kapieren, dass ausgerechnet ein Mensch wie ich Erfolg haben kann. Er fragt sich zunehmend misstrauischer, passt sie sich etwa ganz heimlich doch nicht zu sehr an? Welchen Preis muss sie eigentlich für ihren Durchbruch zahlen?

Also, ich weiß es nicht. Mir sagte jemand vor ein paar Jahren auf einer Veranstaltung: Dass so jemand wie du Abgeordnete ist! Es muss irgendwas dran sein. Ich habe ja einen rasanten Aufstieg in einer vergleichswiese kurzen Zeit in einer relativ großen, von Männern beherrschten Fraktion gemacht. Dieses Politikerinnen-Dasein ist meinem Freund suspekt. Gewiss färbt die Abgeordneten-Tätigkeit in der Politik-Kaste auf meine persönliche Entwicklung ab. Es wäre töricht von mir, das zu leugnen. Nach diesen zehn Jahren im Deutschen Bundestag bin ich anders, eben sicherer in meinem Umgang mit diesem Mandat und seinen Begleitumständen geworden. Vielleicht übertreibe ich etwas: aber es ist schon schwierig, sich in diesem Bonn nicht auffressen zu lassen.

Mit meinem Mann Gerhard habe ich oft über den Einfluss der Politik aufs Privatleben gesprochen. Gerhard hatte zu Recht Angst , dass unser privates Refugium en 'gläsernes Haus' werde. Versuche in dieser Richtung, vor allem von Journalisten, blocke ich zunehmend ab; dieses vorlaute, nassforsche Hineinwuchern. Mich und alle Menschen, zu denen ich engere Beziehungen habe, macht diese Art von Aufdringlichkeit wahnsinnig. Zum Beispiel zu Hause in Nürnberg: Wir kochen zusammen. Plötzlich Telefon, irgendeine Redaktion. Mein Freund meint, ich wäre in solchen Momenten sofort präsent und könnte von der einen auf die andere Minute über Gen-Technologie, den Familien-Lastenausgleich oder über was weiß ich noch abrufbereit reden; ja, dass ich immer an der richtigen Stelle lachen würde - wie eine Schauspielerin auf derPolitik-Bühne.

Aber das ist übertrieben. Sicher bin ich jetzt in einer Funktion, in der mir das oft passieren kann, mehr als früher. Und es kann sein, dass ich nicht mehr die Distanz zu mir selbst finde, die ich haben sollte. Dennoch behaupte ich, dass ich nicht völlig verkorkst bin, und das lasse ich mir auch nicht von meinem Freund einreden. Gut ist, dass er mich darauf aufmerksam macht, denn die Gefahr einer Deformation besteht.

Nur: Thomas hat mittlerweile das seltsame Gefühl, er sei eine Art Naturschutzgebiet für mich, wo ich als Freiwild von der Öffentlichkeit nicht x-beliebig greifbar bin. Zugegeben: Es ist manchmal schwierig, nein zu sagen und Journalisten unmissverständlich klarzumachen, dass ich gar nicht daran denke, jetzt, an meinem letzten freien Tag in diesem Moment, mit dem Zug von Nürnberg nach München zu fahren, drei Stunden im Studio zu sitzen, nach Schminkerei und allem Pipapo die Sendung zu machen und nachts zurückzufahren.

Es ist vom psychischen Ablauf her verdammt kompliziert, den Mittelweg zu finden: Wann sage ich nein, wan ja. Irgendwie sind Politikerinnen und Politiker eitle Menschen, die öffentlich wirken müssen und andere bewegen wollen. Man muss diese kokette Eitelkeit unter Kontrolle bringen, diese staatstragende Schauspielerei. Man darf sich nichtr mit hineinziehen lassen und der Sucht der Bewunderung nachgeben. Wenn ich aufhörte, darüber nachzudenken, dann würde ich mich verlieren. Nur: alleine darüber zu grübeln, das hilft nicht weiter. Daraus muss man die Konsequenzen ziehen. Und das ist nicht einfach - hier in Bonn oder auch Berlin - anderswo.

In den Bonner Jahren meiner Abgeordneten-Tätigkeit habe ich mich nicht nur äußerlich verändert. Ich bin heute viel sicherer. Ich weiß, was ich hier tun kann und was nicht. Ich kenne den Apparat ziemlich genau und komme mit ihm zurecht. Meine so genannte politische Karriere erkläre ich mir daraus, dass ich eine Mischung bin, die es nicht so häufig gibt. Da ist einmal mein Lebensweg, meine Lebenserfahrungen. Ähnliches gibt es in der SPD-Bundestagsfraktion nicht oft und kommt den Erfordernissen der Genossinnen - also der Frauen - und der Männer gleichermaßen entgegen.

Ich meine den Typus erwerbstätige Frau, die Beruf und Kinder miteinander vereinbart, die auch unter Schwierigkeiten - mit ihrem Mann andere Formen der Partnerschaft versuchte. Eine Frau mit Erfahrungen in einem privatwirtschaftlichen Betrieb. Eine Frau, die in der Gewerkschaft aktiv war. Eine Frau, die diese Kombination mit ins politische Geschehen einbringt. Eine Frau schließlich, die auf ihre Weiblichkeit Wert legt und gerne mal flirtet. Die nicht glaubt, die Emanzipation werde verraten und die Welt ginge unter, wenn ihr jemand in den Mantel hilft.

Diese Mischung aus vielen Komponenten verschafft mir Resonanz. Hinzu kommt, dass ich effektiv arbeiten, mich auf meine Ergebnisse verlassen kann. Das konnte ich schon immer, viel arbeiten, und ich mochte es gerne. Es gibt natürlich Tage, da möchte ich am liebsten gar nichts tun. Aber meine Disziplin ist es dann, die überwiegt. Seit spätestens meinem fünfzehnten Lebensjahr habe ich ein ausgeprägtes Pflichtbewusstsein. Und dieses Pflichtbewusstsein hilft mir über persönliche Kümmernisse hinweg, was nicht immer ein Vorteil sein muss. Wenn ich sage, das mache ich, dann geht es meist auch. Jedenfalls bemühe ich mich. Ich kippe nicht gleich um - schon gar nicht auf diesem Polit-Karrusell im Männer-Land.


Ich bin Vorsitzende des Arbeitskreises "Gleichstellung für Frau und Mann", und meine Leitidee hier lautet, wir werden in der Gleichberechtigung nichts erreichen, wenn sich die Männer nicht verändern. Die ersten siebzig Jahre der Frauenbewegung waren geprägt von Veränderungen der Frauen. Es waren Frauen, die sagten, wir müssen mehr lernen, wir müssen uns in die Männer-Angelegenheiten mehr einmischen, wir müssen dort unsere Position kriegen. Ergo: Wir müssen, wir müssen, wir müssen ... Die Frauen haben sich verändert und sie müssen sich weiter verändern, das ist klar.

Aber jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, wo allein durch Veränderungen der Frauen überhaupt nichts Entscheidendes passieren wird. Aus der Frauen-Frage ist längst eine Männer-Frage geworden.

Die Männer sollten endlich erkennen und lernen, dass auch sie ihr Leben einzuschränken haben. Viele können sich das Abenteuer Leben nur mit hundertfünfzig Überstunden im Monat vorstellen. Wir möchten nämlich erreichen, dass die Männer sich am Leben der Frauen, am Leben ihrer Kinder tatsächlich beteiligten. Dass dieses Leben für sie in der ganzen Tragweite erfahrbar, erfassbar wird. Für mich ist jetzt der Punkt erreicht, dass wir uns in der Politik fragen sollten, was können wir tun, welche Rahmenbedingungen können wir schaffen, damit Männer mit einem neuen Bewusstsein ihr neues Selbstverständnis in die Praxis umsetzen können. Die Familienarbeit muss deshalb einen höheren Stellenwert bekommen. Das haben wir in der Fortschritt-90-Kommission mit Oskar Lafontaine (*1943, SPD-Parteivorsitzender 1995-1999), dann als Berliner Parteitagsbeschluss festgeschrieben. Sie ist neben der ökologischen Erneuerung ein zentrales Anliegen der Sozialdemokratie im kommenden Jahrzehnt. Also, die Vereinbarkeit von Kindern und Beruf soll nicht nur Thema der Frauen, sondern gleichfalls der Männer sein. Das lässt sich nicht abrupt umsetzen. Bewusstseinswandel.

Gesetzgeberisch gehen wir dieses Problem mit aller Konsequenz an. Wir planen und schaffen Rahmenbedingungen, die es Frau wie Mann ermöglichen, in gewissen Zeiträumen ihres Lebens andere Prioritäten zu setzen. Dabei ist die berufliche Tätigkeit nicht mehr so wichtig. Kinder und Familie, die Partnerschaft stehen im Mittelpunkt. Ich möchte, dass es für den Mann regelrecht, schon unter rein materiellen Aspekten, unsinnig wird, zu leben wie bisher.

Dafür sind gravierende Bewusstseinsveränderungen unerlässlich. Ich kann mit Hilfe der Politik diese Diskussion entscheidend in Bewegung setzen. Ich kann und will nicht in den privaten Bereich hineinregieren. Im Moment wollen wir den Blick darauf lenken, was Frauen tatsächlich zu tun haben. Wir veranstalteten unlängst eine Anhörung zum Thema "ein bisschen Haushalt, sagt mein Mann". Wir wollen erreichen, dass die oft belächelte Familien-, Hausarbeit drastisch aufgewertet wird. Ich bin froh darüber, dass in der Fortschritt-90-Kommission dieses zentrale Frauen-Anliegen akzentuiert uind einhellig - auch mit den Männern - herausgearbeitet worden ist.

Vor nicht langer Zeit habe ich auf einem Kongress in Berlin den Präsidenten der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, Herrn Dr. Klaus Murmann (1986-1996) getroffen. Er betonte, wie sehr die Industrie die Qualitäten der Frau zu schätzen wisse, insbesondere ihre ausgeprägte Bereitschaft zur Teamarbeit; dass gerade Frauen heutzutage unverzichtbar im Bereich industrieller Fertigungen seien. Sein Tenor: Wir brauchen Frauen in den Werks-, Montage-, Fließbandhallen, in den Labors, an den Bildschirmen dringender denn je. Darauf sagte ich quasi als Erwiderung, mich würde schon einmal interessieren, wer seine flotten Anzüge in die Reinigung gebracht, wer das Hemd von meinem verehrten Vorredner gebügelt habe. Ich fragte ganz einfach und schilderte dann ein fiktives Einstellungsgespräch im Jahre 2008, bei dem die Personalchefin Renate Schmidt Herrn Dr. Klaus Murmann, 37 Jahre als, drei Kinder, nach Lektüre seiner Personalunterlagen anschaut und fragt: 'Lieber Herr Dr, Murmann, wann haben Sie denn eigentlich Ihren letzten Eltern-Urlaub genommen? Merkwürdig, Sie waren ja niemals teilzeitbeschäftigt, obwohl Sie drei Kinder haben, wie denn das?' Antwort: ' Auch, also wissen Sie - Haushalt, Kinder, das macht noch immer in bewährter Manier meine Frau.' - 'Schade, Herr Dr. Murmann, dann kommen Sie leider für die angestrebte Führungsposition bei uns nicht in Betracht, weil Ihnen offenkundig wichtige Erfahrungen fehlen, die wir für unerlässlich halten. Sie haben nämlich keinen Qualifikationsnachweis, ob Sie wirklich einen Haushalt führen, sich selbständig um die Kinder kümmern können. Schade.'

Ich klopfe Murmann abschließend aufmunternd auf die Schulter und tröste ihn: ' Aber Sie sind ja jung und Ihre Kinder recht klein. Sie können das bislang Versäumte noch gut nachholen. Sonst haben Sie ja ausreichende Leistungsnachweise. Wenn Sie in drei bis vier Jahren wieder einmal vorbeischauen, haben wir sicherlich eine entsprechende Position für Sie parat.'

Ergo - in diese Richtung muss sich das Bewusstsein aller orientieren. Die Männer müssen sich gewaltig ändern. Sie müssen erkennen, dass die Frauen nicht mehr dazu bereit sind, die ausschließlich von Männern aufgestellten Kriterien, die vielleicht für deren Karrieren förderlich sind, wie Naturgesetze zu akzeptieren.

So wird die Emanzipationgeschichte definitiv nicht verlaufen, dass die Frauen weiterhin sagen, wir werden uns nicht mehr anpassen wegen der beruflichen Inaktheit des Mannes. Wir machen das auf Dauer nicht mehr mit, dass diese zum Beispiel 150 Überstunden für ein funkelnagelneues Metallic-Auto kritiklos schlucken , die Kinder allein uns anvertrauen, sich selbst nicht mal ein Quäntchen darum kümmern - für die nächsten Menschen keine Zeit haben, die Partnerschaft als einen vernachlässigbaren Nebenschauplatz betrachten - das Zuhause quasi als Jugendherberge. So läuft das Leben mit vielen Frauen nicht weiter. Das werden wir nicht mitmachen. Punktum.

Wenn uns die Industrie und der Öffentliche Dienst nicht die Zeit konzedieren, die wir für andere Menschen benötigen, dann sollen sie uns den Buckel runterrutschen. Die Ära, in der wir für Kinder, Haushalt, letztlich für das Gelingen der Partnerschaft allein verantwortlich waren, zählt im Grunde schon zur Vergangenheit. Weitreichende Konsequenzen diskutieren wir jetzt konkret an einzelnen Maßnahmen, die in das Gleichstellungsgesetz hineingehören. Es gelingt uns schon mittelfristig, ein neues Bewusstsein, ein hinterfragendes Selbstverständnis zu erzeugen.

Christoph Zöpel (*1943, Staatsminister im Auswärtigen Amt 1999-2003) hat die Tiefenschärfe der Dimension unserer Absichten in der Fortschritt-90-Kommission erkannt - auf den Punkt gebracht: die tatsächliche Gleichstellung von Frau und Mann
ist einer der größten reformerischen Impulse, die wir in den nächsten Jahrzehnten offensiv bewältigen wollen. Dies dürfte im Prinzip eine Revolution werden - eien unblutige Revolution. Und das wird neben der ökologischen Umgestaltung und dem Zusammenwachsen beider deutschen Staaten das zentralen Thema des zwischenmenschlichen Zusammenlebens werden. Auch diese Mauer wird fallen. Ob in Bonn oder Berlin die Hauptstadt ist - das ist wirklich einerlei.

In diesem Zusammenhang finde ich es geradezu niedlich, wenn ich in der Partei gefragt werde, warum ich mich ausgerechnet für das scheinbar kompetenzarme Ministerium für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit interessiere, ja, dafür optiere. Derzeit wird dieses Ministerium in seiner qualitativen Tragweite noch sehr verkannt, unterschätzt - zumindest in der Sozialdemokratischen Partei. Es kommt doch nicht von ungefähr, dass überall dort, wo die Grünen mit der SPD eine Regierungskoalition eingehen, sie dieses Ressort beanspruchen. Das Umwelt- und das Frauenministerium werden künftig die politischen Administrationen sein, von denen entscheidende Weichenstellungen ausgehen. Natürlich werde ich um mehr Kompetenzen kämpfen. In diesem Ministerium sehe ich die Chance für reale Veränderungen - gerade in einer Zeit, in der die allgemeinen politischen Gestaltungsspielräume zusehends enger werden.

Selbstverständlich diskutieren wir auch über Fragen zum Strafrechtsparagrafen 218. Hier zeichnet sich deutlich ein Wertewandel ab. Mittlerweile denken und reden nur noch wenige nach dem Motto: "Mein Bauch gehört mir." Nach dem, was ich in den letzten Jahren gelernt und bei meiner Tochter miterlebt habe, steht für mich fest, dass für mich persönlich eine Abtreibung niemals in Frage kommt. Und ich hoffe, dass ich nie in so eine bedrückende Situation gerate. Meien Tochter - sie ist allein erziehende Mutter von zwei Kidern - hat mich bei ihrer ersten Schwangerschaft angerufen und geweint. Ich habe gesagt, Jenny, das ist kein Grund zum Heulen, weder so noch so.

Wenn du sagst, du willst das Kind nicht - gut, du weißt, dass es Wege gibt, das Kind nicht zur Welt zu bringen. Wenn du das Kind willst, da sage ich dir ehrlich, wo fünf Personen satt werden, wird doch wohl ein sechster Mensch genug zu beißen bekommen. Ich glaube, ich habe meine Tochter Jenny nicht beeinflusst, Sie hat hin und her überlegt - allein, denn sie hatte damals keinen festen Freund. Jenny kam schließlich zu dem Ergebnis, dass sie nicht abtreiben will. Ich muss sagen, dass ich mich über ihre Entscheidung gefreut habe.

Beim zweiten Kind lebte Jenny mit einem jungen Mann seit längerer Zeit in einer gemeinsamen Wohnng. Sie waren bei der Beratungsstelle und hat eine Indikation gehabt. Mein großer Sohn Alexander fuhr sie zur Klinik. Vor der Eingangstür sagte sie zu ihm: 'Du, drehe um, es geht nicht, ich kann nicht.' Eine Abtreibung gegen das eigene Gefühl ist unmöglich. Ich weiß, dass manche Frauen dabei seelisch einbrechen. Ich sage nicht, dass das bei jeder Frau so ist. Manche kommen damit gut zurecht.

Ich habe meine Kinder in dieser Frage nie beeinflusst, weil ich meine, das ist eine ganz persönliche Entscheidung. Nur meinen Söhnen rede ich nachhaltig ins Gewissen, dass ihre Verantwortung ebenso groß ist wie die der Frau, und dass sie solch eine Verantwortung nur übernehmen sollten, wenn sie tatsächlich dazu bereit sind, und zwar langfristig.

Mein Mann, Gerhard, war im Dezember 1983 sehr krank geworden. Die Ärzte hatten zunächst eine Herzkrankgefäß-Geschichte diagnostiziert, und Gerhard muss dem allem auch keine allzu große Bedeutung beigemessen haben. Erst viel zu spät stellte dich durch eine Röntgenaufnahme heraus, dass er eine Herzmuskelentzündung hatte, mit einer nur nch 25prozentigen Herzleistung. Es ist nie geklärt worden, welche Ursachen dafür ausschlaggebend waren.

Da wurde ich, gerade vierzigjährig, unverhofft Großmutter und mein Gerhard lag im Krankenhaus, psychisch völlig unten. Ich bin in dieser fürchterlichen Zeit nahezu täglich zwischen Nürnberg und Bonn hin und her gependelt: Morgens hier in Nürnberg, abends wieder in Bonn usw. Das war der helle Wahnsinn. Dann sprachen wir mit dem Arzt, grundsätzlich, und er meinte, dass nur eine Herz-Transplantation Heilung versprechen könne. Gerhard sagte, das mache ich auf keinen Fall. Das kann ich verstehen: irgendwie ist das irrsinnig. Niere ja, aber Herz: nein. Ich habe auch noch nie eine Organspende unterschrieben, weil ich das Gefühl habe, irgendwie gibt es Grenzen. Der Mensch ist doch kein Ersatzteillager oder inzwischen doch ?

Immerhin hatte sich Gerhard wieder aufgerappelt, war vital und lebenslustig, wobei klar war, dass er nur sehr eingeschränkt leben könne. Er fuhr zur Kur, und ich reduzierte meine Bonner Tätigkeit stark. Ich habe in Bonn und in Bayern der Partei gesagt, wenn es um Termine und Veranstaltungen ging, ich kann nicht mehr und damit basta. Und zu mir: 'Renate, du bist zwar noch Bundestagsabgeordnete, mache halbwegs deine Arbeit - aber ab jetzt alles eine Nummer kleiner.'

Im Jahr 1984 haben wir noch einen sehr schönen Urlaub in der Bretagne verlebt. Wir erholten uns gut und waren beide frohen Mutes. Ich reiste dann mit dem Bundestagsausschuss in die Vereinigten Staaten. Der Arzt hatte sich geradezu euphorisch geäußert, dass es toll sei, wie Gerhard sich erholt habe. Wir fingen wieder an, kleine Pläne zu schmieden, redeten über unsere silberne Hochzeit und derlei Geschichten. Aber große Zukunftsprojekte wollten wir nicht machen. Wir sagen uns: 'Was wir jetzt haben, das hamm er', darüber hinauis wollten wir erstmal nicht schauen.

Eine Woche später, nachdem ich aus den USA zurück war, hatte ich Sitzungswoche in Bonn. Ich war nicht zu Hause. Gerhard wollte in der Stadt etwas erledigen. Er ist im Jahre 1984 auf der Straße zusammengebrochen und war innerhalb von Sekunden tot. Wenn jemand mit Herzrhythmusstörungen sich plötzlich aufregt, erklärte mir der Arzt, kann es trotz guter Erholung passieren, dass es abrupt aus ist.

Erst haben die Streifenbeamten bei meinen früheren Arbeitgeber, einem Versandhaus, angerufen, weil sie in Gerhards Tasche einen Einkaufsschein gefunden hatten. Dann kamen sie endlich bis Bonn durch. Ein Polizist fragte mich, ob ich einen Gerhard Schmidt kenne, der sei gerade im Zentrum von Nürnberg tot zusammengebrochen. Ich antwortete. Gerhard Schmidt gebe es viele, das müsse ein Irrtum sein. Ausgerechnet an diesem Tag war von meiner Familie niemand erreichbar. Mein Sohn Alexander musste vor Gericht sen Kriegsdienstverweigerungsverfahren durchboxen, Jenny war unterwegs, men Kleinster auf Klassenfahrt.

Auf der Rückfahrt nach Nürnberg war mir klar, dass ich mich von der Bonner Politik verabschieden, mein Bundestagsmandat aufgeben, vielleicht als Systemanalytikerin in Nürnberg in Lohn und Brot gehen würde. Ich wollte künftig zu Hause bei meinen Kindern sein. Irgendwie hatte ich dem Politiker-Leben am Rhein schon innerlich ade gesagt, sagen müssen. Andererseits wusste ich, dass ich jetzt nicht, quasi als leidgeprüfte Krisenmanagerin, ins Leben meiner erwachsenen Kinder hineinregieren kann. Vielleicht war es wirklich ein Zufall, dass meine Kinder einhellig der Auffassung waren, ich sollte in Bonn weitermachen, nicht aus Verzweifelung alles hinschmeißen. Zum Schluss drehte sich alles um Florian, meine anderen Kinder lebten mit ihren Partnern schon längst in Wohngemeinschaften. Florian wollte ich nicht allein zu Hause lassen. Ins Internat wollten wir ihn natürlich auch nicht 'abschieben'.

Tagelang haben wir beraten, wie wir nun unser Leben in Nürnberg gestalten wollen. Alexander und seine Freundin machten mir das Angebot, in unser Haus zurückzuziehen, was für die beiden sicher nicht leicht war. Wir mussten das ganze Haus umgestalten fast ganz umbauen. Wichtig war, dass jeder seine Rückzugsmöglichkeit hatte. Ich habe dann sechs Wochen Holz gestrichen usw., bis endlich alles stand. Ich selbst wohne in dieser Zeit im Gartenhäuschen, zwischen Bäuschen und Bäumen - dieses laubenähnliche Refugium wurde mein Domizil. Im Haus war ja wegen der Kinder kein Platz mehr. Ich habe also geschuftet, um über das Schlimmste hinwegzukommen.

Ausgerechnet in dieser Zeit kam die bayerische SPD mit dem Vorschlag, dass ich ihren Vorsitz (1991-2000) übernehmen sollte Zunächst erklärte ich nur das ich unter keinen Umständen macen könne, weil ich überhaupt nicht wüsste, wann ich wie ich mich wieder fangen würde: dass ich in solch einer Lage nicht als bayerische SPD-Chefin durch die Lande reisen könnte, um den CSU-Staat zu kritisieren und strahlenden Optimismus zu verbreiten - das verstehe ich doch wohl von selbst.

In den ersten Bonner Wochen hatte ich regelrecht Schwierigkeiten , im Plenum des Bundestages überhaupt ein Wort über die Lippen zu bringen. Ich weiß es noch genau, ich sollte über den Zivildienst reden. Teilweise begriffen die Kollegen gar nicht, was mit mir geschehen war, oder wollten es nicht verstehen - als könnte ich schnurstraks zur Tagesordnung übergehen. Ich brauchte lange, bis ich endlich wieder konnte. Bis dahin war ich ganz in Abwehrstellung.

Der richtige Zusammenbruch blieb nicht aus. Es passierte, als ich das erste Mal allein zu Hause war. Vorsorglich hatte ich mich ja über lange Wegstrecken den Kindern angeschlossen. Insgeheim fürchtete ich mich wohl davor, allein zu sein. Doch das läßt sich ja nicht immer umgehen. Die Kinder waren in den Pfingstferien ins Zeltlager gefahren. Ich merkte auf einmal, wie sehr ich alles, was passiert war, zugeschüttet, abgeschüttelt, verdrängt hatte - das heißt, mir keine Atempause, keine Verarbeitungsphasen zugestanden hatte.

An diesem Tag nun sollte ich morgens nach München zur Verleihung des Umweltpreises der SPD fahren. Ich wachte früh auf und bemerkte, dass ich mit riesengroßen roten Quaddeln am ganzen Körper übersät war. Dieser Allergieschub warf mich ins Bett. Ich war erschrocken und fragte mich, wie es dazu habe kommen können, zumal ich mich doch tags zuvor pumperl gesund gefühlt hatte. Mir ging es drei Wochen schlecht. Der verdrängte Schmerz hatte sich auf seine Weise nachdrücklich gemeldet. Dieser Rückschlag - das hieß wohl, dass ich endlich allein sein wollte, ohne Anlenkungen. Ich wollte mich wiederfinden.

Früher konnte ich unbeschwert flirten, die Männer, wenn ich etwas von ihnen wollte, mal witzig, mal direkt und schroff anhauen. Nun ertappte ich mich dabei, wie ich eine Männer-Phobie kultivierte. Ja, jedem, der sich mir in den Büros nur ein bisschen freundlich näherte, habe ich gleich meine spitzen Krallen unter die Nase gehalten: permanent in Alarmbereitschaft. Ich konnte niemanden an mich heranlassen, erst recht nicht in Bonn, das mir immer aberwitziger erschien.

Ich tat das einzig Vernünftige: Mit meinem Sohn Flo fuhr ich für mehrere Wochen nach Finnland, in völlige Einsamkeit. Ich muste niemanden sehen, keine Erwartungen erfüllen - weder von mir noch von anderen . Ganz allmählich fand ich wieder zu mir zurück - fand letztlich auch meinen Durchsetzungs- imd Kampfeswillen, meine beinahe unverschämte Neugierde auf andere Menschen wieder. Nach zwei Jahren.

Wenn wir alle nicht nochmals zusammengezogen, quasi als Familien-WG zusammengerückt wären - ich hätte mit der Bundespolitik definitiv aufgehört. Es wäre für mich unvorstellbar gewesen, dass ich in Bonn oder Berlin über die sträflich vernachlässigte Familienpolitik Reden halte, während das damals vierzehnjährige Flo in Nürnberg allein gewesen wäre. Das hätte ich nie ausgehalten.

Wir leben in einer Ausbruchsära, die mich unmittelbar betrifft und mit mir Millionen von Frauen in diesem Land. Ihren Bedürfnissen nach umfassender Akzeptanz, nach Ausbau ihrer selbstverständlichen Rechte, aber auch der rigiden Umkehr von der zerredeten Frauen- in die anstehende Männerfrage, weiß ich mich verpflichtet. Deshalb mache ich weiter in Bonn, später auch in Berlin. Das ist auch der Grund, warum ich als Spitzenkandidatin der bayerischen SPD in den Jahren 1994 und 1998 mit viel Elan in die Wahlschlachten zog, um die nahezu erdrückende Vormachtstellung der CSU zu brechen. Ich zog von Dorfkneipe, vom Marktplatz zu Marktplatz. Aussichtslos. Damals noch.

Noch im Jahre 1968 hätte ich auf die Frage: 'Bist du eine Feministin?' mit Unverständnis reagiert. Heute bin ich sauer, wenn ich von Feministinnen ausgegrenzt werde. 1968 war bei mir noch das Bedürfnis vorherrschend, Männern zu gefallen; heute dominiert der Wunsch, als Frau gut zu bestehen. Wir sind zwar inhaltlich noch in die Leichtlohngruppe des Bundestages, aber leicht haben wir es deswegen nicht. Nur: wir haben inzwischen festgestellt, dass wir eine Macht sind, die es systematisch auszubauen gilt.

Ich habe gemischte Gefühle beim Gedanken an das Jahr 1968. Seinerzeit durchlief die Bundesrepublik nach der Restaurationsphase der Nachkriegsjahre, gleichfalls eine Aufbruchsphase. Ich habe das Gefühl, damals nicht wirklich dabeigewesen zu sein: Die Heldinnen sind immer die anderen. Ich bedauere, dass ich nicht studiert , kaum nächtelang Diskussionen geführt habe und keine WGs kenne. Ich habe ehedem Männer als Maßstab akzeptiert, ja sie regelrecht gesucht, teils um zu gefallen, teils um mich mit ihnen beruflich zu messen. Mittlerweile weiß ich, dass ich ohne die Erfahrung jener Jahre nicht dort wäre, wo ich bin.

Im Jahr 1961 erwarte ich, knapp achtzehnjährig, ein Kind, heiratete, kann als 'in Schande Gefallene' mein Abitur nicht machen nicht machen, werde Programmiererin - damals ein Männerberuf. Ich komme zum Entsetzen meiner Kollegen nach der Geburt eines zweiten Kindes 1963 wieder in den Beruf zurück, werde schlechter bezahlt als die Männer. Muss, als mein Mann Gerhard mit dem Studium fertig ist, erneut die Kämpfe um Haushalt und 'wer-bringt -die-Kinder-in-den-Kindergarten' ausfechten - uind gewinne fast immer. Im Jahre 1969 ein kurzer Flirt mit der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP), der mit dem Einmarsch der Sowjets in Prag abrupt ein Ende hat.

1968 nehme ich mir zum Entsetzen meiner Vorgesetzter mehrere Male frei, um auf Demonstrationen zu gehen: gegen die Notstandsgesetze, für den Nulltarif im öffentlichen Nahverkehr, gegen die US-Streitkräfte in Vietnam, Sitzstreik am Plärrer in Nürnberg (links-alternative Stadtzeitung): Besetzung des Schauspielhauses. Ich schwenke eine rote Fahne auf der Bühne. Nein - keine Frauengruppen, nichts Frauenbewegtes; ich habe mich durchgesetzt bei den Männern - zotigen Witzen setzte ich noch eins drauf, schließlich leben wir im Zeitalter der so genannten sexuellen Befreiung.

1970
Geburt des dritten Kindes; erstes gewerkschaftliches Engagement: in dem Betrieb, in dem ich arbeite, tut der Betriebsrat nichts, es gibt keine Betriebsversammlungen - wir setzen eine durch.

1971 Eintritt in die SPD - Willy wählen, mehr Demokratie wagen.

1972
Wahl in den Betriebsrat und die Konfrontation mit anderen Frauenleben: unterbezahlte Arbeit, verkappte Leichtlohngruppen, Frauen, die früh um drei Uhr aufstehen um nach der Fahrt mit Werkbussen um 6.30 Uhr mit der Schicht-Arbeit zu beginnen; teilweise mit ihren Kindern, die im Betriebskindergarten untergebracht werden. Ich kriege mit, dass Betriebsratskolleginnen Schulunen nicht mitmachen, weil ihre Männer dagegen sind, und wenn sie doch dabei sein wollen, für eine Woche vorkochen, vorputzen, vorzubügeln haben. Ich agiere gegen Leichtlohngruppen, für Frauen in Gewerkschaftsgremien und Tarifkommissionen - ich bin plötzlich frauenbewegt und immer noch stolz, wenn mich jemand als 'einzigen Mann im Betriebsrat' bezeichnet.

In der SPD engagiere ich mich in einer Bürgerinitiative, die einen Aktivspielplatz für Kinder einrichten will. Es kommt zu ersten öffentlichen Auftritten. Im Jahre 1972 müssen wir uns entscheiden, wie es mit der Familie weitergehen soll: zwei Berufe, Gewerkschaft, SPD, Aktivkinderspielplatz, Falkengruppe, drei Kinder, von denen zwei abwechselnd Schwierigkeiten mit der Mengenlehre und Lateinvokabeln haben - das ist zu viel. Wir entscheiden uns für den besser bezahlten Beruf (meinen) - Gerhard wird Hausmann, was ihm den Spott von Freunden, die Nichtakeptanz vor allem der Genossen und die Häme mancher Nachbarn einbringt und die der Gewerkschaft mir endgültig den Ruf, eine Emanze zu sein. Es wurde auch Zeit ... ...

Mit Beginn des achtziger Jahrzehnts kandidierte ich völlig ungeplant und unvorbereitet für den Deutschen Bundestag - und wurde gewählt. Meine schon in der Betriebsratsarbeit deutlich hervorgetretene Tendenz, mich um Minderheiten zu kümmern, setzt sich im Bundestag fort. Eine dieser Minderheiten sind die Frauen, ob Ausländerinnen oder erwerbstätige Frauen, ob Familienfrauen oder Mütter, die wieder in den Beruf wollen. Eine Mehrheit wird zur Minderheit gemacht. Politik für Frauen bleibt in einem ungesicherten Rahmen. Normalerweise werden Probleme durch Gesetze und Rechtsansprüche gelöst. In der Frauenpolitik sieht der Regelfall anders aus: Modellvorhaben, die fast nie nach der "Modellphase" weitergeführt werden, selbstausbeuterische Selbsthilfegruppen, Stiftungen, ABM-Maßnahmen und Forschungsvorhaben. Die Frau als defizitäres Wesen.

Seit 1987 bin ich nun die Frauen-Frau in der SPD-Bundestagsfraktion. Vorher war ich die Bafög-Frau, die Tierschutz-Frau, die Zivildienst-Frau, die Familien-Frau. Bei Konflikten wurde ich zumindest ernst genommen. Doch Frauenpolitik war und ist kein normales Politikfeld. Da Männer unseren Forderungen häufig hilflos gegenüberstehen, ziehen sie unsere Forderungen und die sie einklagenden Frauen ins Lächerliche.

Dies erklärt aber nicht die zunehmende Aggressivität vieler meiner Genossen gegenüber Frauen-Forderungen. Frauenbewegung in der SPD gibt es schließlich nicht erst seit 1968. Meine Großmutter durfte noch nicht wählen: der Arbeitsplatz meiner Mutter konnte gegen ihren Willen von meinem Vater gekündigt werden: gleicher Lohn für gleiche Arbeit, nicht etwa gleichwertige, wurde in der Weimarer Republik nicht einmal von den Gewerkschaften anerkannt. Dass sich das und vieles geändert hat, ist nicht zuletzt das Verdienst von Sozialdemokratinnen. Diese Veränderungen wurden von den Männern akzeptiert. Die letzten siebzig bis hundert Jahre der Frauenbewegung standen unter der Überschrift: Veränderung der Frauen, Veränderung der Ausbildung, unserer Lebensplanung, unserer Rollenmuster. Die nächsten Jahre müssen unter der Überschrift der Veränderung der Männer stehen, um ihre Emanzipation und die Gleichheit von Frau und Mann tatsächlich zu erreichen.

Das bedeutet konkret: Es reicht nicht mehr, dass Männer im Bundestag für die Ausbildung von Mädchen in gewerblich-technischen Berufen, für Frauenförderung im öffentlichen Dienst, für die befristete Quote votieren. Sie müssen nun auch die Ausbildung in Säuglingspflege und Hauswirtschaft für Jungen, verbindlichen Väterurlaub und Teilzeit-Arbeitsmöglichkeiten für Väter, die Inkaufnahme des bisher Frauen vorbehaltenen Karriere-Knicks ins Auge fassen. Die M#nner müssen ihre Defizite auszugleichen beginnen.

Viele Männer können sich die positiven Möglichkeiten einer solchen Veränderung nicht vorstellen. Eimal wegen ihrer Erziehung, zum anderen wegen ihres Lebensstils., der auf die Zuarbeit einer (Ehe-)Frau abgestellt ist und von der Unveränderbarkeit unserer Arbeits- und Lebensstrukturen ausgeht.

Männer sind als Politiker, Gewerkschaftsfunktionäre, Arbeitgeber, Vorgesetzte und Kollegen Forderungen von Frauen ausgesetzt - und als Ehemänner oder Partner. Und da liegt die große Schwierigkeit, vor der beide Geschlechter stehen: Die Forderungen der Frauen richten sich ja nicht nur an die anonyme Gruppe der Männer, sondern vor allem an den eigenen Mann. Das heißt, wir haben Forderungen an den, den wir lieben. Dies hat manchmal den Verlust der Liebe, manchmal die Aufgabe der Forderungen oder, wenn es beide schaffen, den Gewinn von zusätzlichen Verstehen, größerer Unabhängigkeit, mehr Chancen für wirkliche Partnerschaft und Liebe zur Folge.

Der Quotenbeschluss der SPD ist deshalb nicht das Ende einer Entwicklung, sondern der Anfang eines neuen Kampfes. Damit ist die Chance gegeben, dass wir uns endlich überall einmischen können. Das Erstaunen ist groß, wenn wir jetzt unseren Anspruch anmelden auf eine Steuerreform, die nicht nur Ökologie und Ökonomie, sondern auch Fraueninteressen, Frauenbedürfnisse berücksichtigt. Die Abwehr ist groß, wenn wir die verbindliche Quote im öffentlichen Dienst fordern. Der hundert Jahre alte Dreh, Frauenthemen zu Nebenthemen zu erklären, hat sich längst noch nicht ausgeleiert. Nur: vierzig Prozent der Frauen werden aus dem so genannten Nebenthemen Hauptthemen machen. sicher? Ganz sicher !

Schon die Frauenbewegung Anfang der siebziger Jahre hat die Sozialdemokratinnen deutlich erkennen lassen, dass zwar nur eine sozialistische Partei ihre Vorstellungen von Demokratie verwirklichen kann, dass aber nur ein aktiv vertretener Feminismus diesen Sozialismus demokratisch verändern kann. Die sozialdemokratischen Frauen sind nicht länger bereit, die Interessen der Frauen hinter ein vermeintiches sozialdemokratisches Gesamtinteresse zurückzustellen. Die Frauenfrage ist für sie kein Nebenwiderspruch, sondern ihr brennendstes Problem.- Insofern freue ich mich auf die neuen Frauen - auch und vielleicht gerade aus der einstigen DDR. Mit der Einführung der Quotenregelung im Jahre 1988 (40-Prozent-Geschlechter-Quote für Amt wie Mandat) ist den Frauen in der SPD der erste Durchbruch gelungen, dessen Folgen gegenwärtig noch nicht abzuschätzen sind.

Ich war ja in der beneidenswerten Situation der mensten Männer hier in den deutschen Parlamenten - ob im Bund oder in den Ländern: Gerhard war zu Hause und hielt den Laden am Laufen. Letztendlich musste ich mich um nichts kümmern: nicht um das Auto, den Haushalt, die Wäsche, den Einkauf usw. Nach Gerhards Tod war das alles plötzlich anders. Die Kinder halfen mit nach Kräften. Aber irgendwo ist da eine Barriere, wo ich mir sage, das mache ich lieber selber.. Es war zudem auch wichtig für mich, mich auf etwas Neues einzulassen, Gewohnheiten über Bord zu kippen.

Wemm ich mr meinen beruflichen wie privaten Werdegang verdeutliche, dann meine ich, dass ich bei der Regierungsübernahme der SPD ein Ministerium wie das für Familie, Frauen, Jugend und Gesundheit in den Griff kriegen würde. Es ist schade, dass dies weder Rita Süssmuth (*1937, Bundesministerin- 1985-1988) noch ihre Nachfolgerin Ursula Maria Lehr (*1930, Bundesministerin 1988-1991) mit konkreten Aktionsprogrammen gelungen ist.

Rita Süssmuth ist eine 'erfolglose' Ministerin gewesen, wenn Erfolg nicht nach Schlagzeilen, sondern danach gemessen wird, welche tatsächlichen Maßnahmen, sie durchgesetzt hat., auf den Wege gebracht hat. Da ist leider nichts. wenn wir von einigen Modellversuchen einmal absehen. Rita Süssmuth ist eine 'erfolgreiche' Ministerin gewesen, wenn Erfolg danach gemessen wird, dass en Thema ins Bewusstsein der Bevölkerung dringt. Das bedeutet ja mehr, als etwas darzustellen. Rita Süssmuth - das ist ihre Leistung - hat bewusstseinsverändernd eingegriffen. Gesetzgeberisch profitierte sie letztendlich nur von dem, was ihe Vorgänger Heiner Geißler (*1930, Bundesminister 1982-1985) schon in Angriff genommen hatte.

Das ist ihr Schwachpunkt. Ihr Defizit ist wohl, dass sie, wie viele Frauen, nicht erkannte, wann die Macht hatte. Deshalb konnte sie damit auch nicht ungehen und wurde auf das ranghöhere, aber bedeutungslose Amt des Bundestagspräsidenten (1988-1998) versetzt. In ihrer Partei, die lautstark den 'Abschied von der Männergesellschaft' verkündete, verkümmert die Frauen-Männer-Frage. Wen wundert es, dass die CDU ihren frauenpolitischen Parteitag sang- ud klanglos kippte? Selbst Ursula Maria Lehr, als ihre Nachfolgerin, konnte im Ministerium nicht eine einzige Initiative für die Frauen konzipieren oder einen Gesetzentwurf auf den Weg bringen.

Also, wenn ein Bundeskanzler Gerhard Schröder (*1944, Amtszeit 1998-2005) mich fragen würde, ob ich das besagte Frauen-Ministerium verantwortlich übernehmen wolle, dann sage ich ihm erst einmal, dass ich mich über das Vertrauen freue. Zugleich stelle ich aber meine Forderungen, um wirklich eine durchschlagende Arbeit leisten zu können: Unser in den Bundestag eingebrachte Gleichstellungsgesetz wird Wirklichkeit, ich will die Federführung für die Frauen-Förderung des öffentlichen Dienstes des Bundes im Frauen-Ministerium verankern - und nicht im Innenministerium belassen, da gehört sie einfach nicht hin; und ich brauche Geld. Wenn Gerhard Schröder meint, das sei alles sehr vernünftig, ginge aber erst nach der nächsten Wahl, dann würde ich ihm antworten: 'Wissen Sie, Herr Bundeskanzler, dann machen Sie mich erst nach de nächsten Wahlen zur Frauenministerin - vorher nicht. Frauen, die diese Fassade verzieren, haben dort nämlich schon genügend eingesessen.'

Ohne Druck läuft in den Regierungsapparaten und anderswo in diesem Land nichts. Wenn ich nur daran denke, wie das groß herausposaunte Frauen-Ministerium entstanden ist und was nicht alles damit angestellt werden sollte: Frauen-Gesetze, -Erlasse, -Förderungen etc. Es war damals mit dem neuen Umweltministerium - 1986 - ins Leben gerufen worden. In der Öffentlichkeit entstand der Eindruck, die Regierung Helmut Kohl (1982-1998) ziehe die Konsequenzen. Ja. aber wie sahen die aus. Der damalige Umweltminister Walter Wallmann (*1932; 1986-1987) erhielt für seine Arbeit Unterstützung aus dem Ressorts Forschung und Technologie sowie Wirtschaft: er konnte über die erforderlichen Fachkräfte und Geld verfügen. Rita Süssmuth hingegen durfte sich zwar Frauenministerin nennen lassen - aber sie hat gar nichts bekommen. Nach den Bundestagswahlen gestand man ihr eine 'gemeinsame Federführung' mit den anderen, in Wirklichkeit zuständigen Ministern zu, die ungebrochen das Sagen haben.

Rita Süssmuth bekam keinerlei politischen Gestaltungsspielraum. Auch ihre Nachfolgern Ursua Maria Lehr wurde wohlwissend nicht mi einem Veto-Recht ausgestattet. Sie kann im Kabinett zu rechtsverbindlichen Folgewirkungen nicht definitiv nein sagen. wenn es um eine weitere Benachteiligung der Frauen geht. All die wichtigen Instrumentarien, mit denen die CDU-Frauen etwas bewegen könnten, die wurden ihnen in ihrer politischen Alltagsarbeit nicht zugestanden. Und für die in der Öffentlichkeit hochgepriesene Frauenförderung des Bundes, die eine Schrittmacherfunktion übernehmen sollte - für ist Frau Ursula Maria Lehr nicht einmal in eigener Regie verantwortlich. Die liegt wohlbehütet beim Innenminister Wolfgang Schäuble ( 1989-1991 und 2005-2009) nach wie vor in Männer-Hand. Der behandelte Frauen-Angelegenheiten so, als sei unser Anliegen eine höchst sensible Verschlusssache, von der die Öffentlichkeit verschont, ja geschützt werden muss. Die Folge: keine Diskussion, keine Maßnahmen in den Verwaltungen, keine Initiative - nichts, gar nichts. Sendepause. Stagnation.

Das würde mit der SPD um kein Jota anders werden, wenn wir die Frauenförderung des Bundes in solch einem Frauen fernen, unbeweglichen Mammutapparat ließen und die dafür eigentlich zustöndigen Minister-Frauen davon fernhielten.

Wir Frauen müssen in diesen Männer-Vereinen der politischen Vereinsmeier künftig Punkt für Punkt die Diskrepanz zwischen Reden und Handeln ins Bewusstsein rücken; sonst wird alles zerredet. Die Männer warten scheinbar nur darauf, dass bei uns der Elan, die Vehemenz nachlässt. Wir sollten uns vorsichtshalber auf dürre Jahre einrichten, zumal bei der CDU/CSU und der FDP das Bundestagsmandat weitaus stärker an ein Wohlverhalten gebunden ist als bei uns. Wir in den langen Jahren der Opposition (1982-1998 und 2005 ff.) haben es da zugegebenermaßen auch etwas einfacher mit den angepeilten Innovationen. Also eine Frau kann in der SPD mittlerweile eine Frau sein und wird akzeptiert - basta.

Dessen ungeachtet keimt insgesamt ein neues Männerverhalten in der Politik herin - leise, schüchtern, aber bemerkbar. Solche saudummen Bemerkungen wie 'Zur Sache Schätzchen', mit denen mich einst die Männer am Rednerpult des Bundestages lautstark angepöbelt haben, gehören zur Vergangenheit. Lernprozesse. Wenn Männer heute noch derlei Sprechblasen als Zwischenrufe abgeben, dann werden sie mitunter von ihren eigenen Fraktionskollegen angeschaut, als seien sie nicht ganz dicht. Allein schon wegen der Öffentlichkeit.

Die Männer in der politischen Klasse sind mittlerweile sehr irritiert. Sie haben insgeheim Ängste, der Zukunftszug könne ohne sie abfahren. Sie sind etwas nachdenklicher, besonnener geworden. Das alles kann sich in einer Person wiederfinden. Diese Veränderung lässt sich auch am Gleichstellungs-Gesetzentwurf ablesen. Eineinhalb Jahre Kärrnerarbeit, bis wir es endlich qua Beschluss durch die SPD-Fraktion gebracht hatten. Genugtuung. Früher hätten sich die Männer gesagt, jetzt lassen wir die spinnerten Weiber das Zeug mal machen, dann ist die Luft raus, herrscht wieder Ruhe im Karton. Jetzt, zu Beginn der neunziger Jahre, sieht es auffallend anders aus. Die Herren wissen sehr genau, dass sie sich damit auseinandersetzen müssen. Sie fürchten sich in Wirklichkeit um ihre Positionen. Sie wissen von ihren Töchtern, dass sich etwas gewaltig verändern muss und wird.

Ich jedenfalls möchte heute kein fünfunddreißigjähriger Mann sein. Wenn ich daran denke, wie Männer erzogen worden sind, und ihre Lebesvorstellungen mir so betrachte, die sie verwirklichen wollen - nein, ich möchte wirklich kein Mann sein. Der Mann dieser Tage muss schon sehr viel innere Stabilität und Selbstbewusstsein mitbringen, um mit dem Drang der Frauen nach Selbstverwirklichung zurechtzukommen. Schließlich muss er sich ja ändern seine Lebensvorstellungen werden verändert, weil die Frauen unmissverständlich bedeuten: 'So nicht mehr.' Es ist kein Wunder, dass viele junge Männer zu den Rechtsradikalen flüchten, die das herkömmliche, dort noch unumstößliche Frauen- wie Männerbild vermitteln.

Die Aufbruchs-Ära der Frauen erzeugt zunächst immense Unsicherheit. Auch bei unseren Männern in der SPD-Bundestagsfraktion, in der es normalerweise recht verständnisvoll zugeht. Wobei es Hans-Jochen Vogel (*1926 ) als Fraktionschef (1983-1991) natürlich einfacher hat. weil seine Position ja nicht gefährdet ist. Aber der Abgeordnete XY findet sich in einem völlig neuen Konkurrenzfeld wieder. Vielleicht istr er ja genauso gut wie die Renate Schmidt, arbeitet ebenso hart - und trotzdem wird er nicht stellvertretender Fraktionsvorsitzender (1987-1990), Vizepräsident des Deutschen Bundestages (1990-1994) und Bundesminister wie Renate Schmidt (2002-2005). Und das offenkundig nur deshalb, weil er keine Frau ist. Das verursacht Bitterkeit, im Moment jedenfalls noch.

Ich möchte und will Männer wirklich nicht verletzen, vor allem den einzelnen nicht. Auf der anderen Seite darf mein feministisches Verständnis nicht dazu führen, dass wir in Einfühlungsvermögen oder gar in Mitleid zerfließen, gar Mütter spielen und letztendlich unsere Forderungen wieder zurücknehmen. Denn es sind natürlich die Männer, die in ihrer Gesamtheit die jetzige Entwicklung zu verantworten haben, dass es zum Beispiel erst überhaupt zur Quotenregelung kommen musste. Schlimm nur, dass diese kollektive Verantwortung selbst in den kleinsten privaten Verästelungen zu Konfrontationen führt.

Unsere Aufbruchs-Ära mündet nicht in einem Verhandlungskatalog, wie etwa bei Tarifgesprächen zwischen Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden. Insofern ist der Kampf der Frauenbewegung nicht vergleichbar, weil es sich eben nicht um eine anonyme Organisation handelt, bei der es dies oder jenes zu erstreiten gilt. Unsere Veränderungswünsche richten sich oft an den uns am nächsten stehenden Menschen. Manchmal entscheiden wir uns für die Liebe und geben ein Stück von uns auf. Manchmal geht die Liebe flöten und unsere Forderungen sind durchgesetzt. Aber auf Dauer, dessen bin ich mir absolut sicher, wird beides möglich sein. Jedenfalls, die Zukunft ist weiblich - so oder so."