Sonntag, 10. April 1977

Mörderische Torturen - größte Konzentrationslager in Uruguay













"Neues Deutschland", Berlin
10. April 1977


Montevideo (ND). - Fünfzig Kilometer von Uruguays Hauptstadt Montevideo entfernt befindet sich die berüchtigte Haftanstalt des Heeres Nr. 1, das größte KZ des Landes. 1.342 Patrioten sind hier eingekerkert. Das KZ, ein langgestreckter Backsteinbau mit 500 Zellen und sieben davor gelagerten Baracken, trägt wie zum Hohn den Namen "Libertad" (Freiheit).
Reporter der BRD-Zeitschrift stern, die diese Folterstätte aufsuchten, schrieben über ihre Eindrücke von den Zuständen in "Libertad": "Schon die Nazis liebten den Zynismus. 'Arbeit macht frei' schrieben sie über den Eingang von Auschwitz. Es ist nicht das einzige, was uns an diesem Nachmittag an Auschwitz erinnert."
Mit ausgeklügelten Foltermethoden sollen die politischen Gefangenen zerbrochen werden. So üben die Wachsoldaten während des Hofganges der Eingekerkerten sogenannten Ausbruchsalarm. "Auf ein Kommando hin müssen sich die Häftlinge auf den Boden werfen, Hände über den Kopf gefaltet - die Militärs feuern dann über ihren Köpfen Salven ab.
Patrioten werden schon bei ihrer Verhaftung Kapuzen übergestülpt, die bei den folgenden Fahrten und Folterungen nicht mehr angenommen werden. Oft müssen sie sich in engen Räumen in langen Reihen aufstellen und tage-, oft auch wochenlang an einer Wand stehen, die Hände auf dem Rücken gefesselt, von der Außenwelt und dem Tageslicht abgeschlossen. Ihre Körper sind von Wunden bedeckt. Als Nahrung erhalten sie in der Regel drei Tassen wässrige Suppe. Mindestens 60 Menschen sind auf diese Weise ermordet worden.
Über zwei Gefangene, die sie aufsuchten, schrieben die stern-Reporter: "Die Augen der beiden ehemaligen Studenten sind glanzlos, gebrochen. Unsere Fragen beant-worten sie wie mechanisch ... Endprodukte des KZ-Alltags." Das Durchschnittsalter der Häftlinge liegt bei dreißig Jahren, die Namensliste der Gefangenen enthält viele Mitglieder der Kommunistischen Partei. Der Rest der Liste ist "weitgehend identisch mit dem Immatrikulationsverzeichnis der Universität von Montevideo zu Beginn der siebziger Jahre", stellt der stern fest. Bis zu 30 Jahre sollen sie nach dem Diktat der Militärgerichte in Einzelhaft schmachten. Vielen wird mit weiteren 15 Jahren Gefängnis gedroht.
Uruguay, mit seinen nur 2,76 Millionen Einwohnern hat über 6.000 politische Gefangene, davon sind 3.000 Mitglieder der KP. 50.000 Männer und Frauen wurden in den letzten drei Jahren verhaftet.
Die stern-Reporter hatten auch Gelegenheit mit dem jetzigen Präsidenten des südamerikanischen Landes zu sprechen - Aparicio Méndez (*1904+1988). "Immerhin, Méndez, einst Professor für Verwaltungswirtschaft, bewundert im Gespräch mit uns die Bundesrepublik. 'Die deutsche Notstandsgesetzgebung ist in unseren Augen die fortschrittlichste der Welt. Wir haben einige Elemente daraus entnommen' ", zitiert der stern den Präsidenten.