Donnerstag, 22. September 1977

Terrorismus - zerrissene Gestalten oder bleierne Zeiten im Herbst



























Der Mord an dem deutschen Arbeitgeberpräsidenten Hanns-Martin Schleyer im Oktober 1977 in der Nähe vom französischen Mulhouse durch die Terror-organisation RAF war der Höhepunkt der wohl schwerwiegendste Krise in der Nachkriegsgeschichte. Bedrückenden Ereignisse jener als "Deutscher Herbst" bezeichneten Monate, rückten zweifelhafte Rechtsanwälte in den Mittelpunkt. Rechtsvertreter, die daran erkennbar zerbrochen sind; zerrissene Gestalten. Der umstrittene RAF-Schleyer-Vermittler Advokat Denis Payot aus Genf verlor wegen zu hoher Honorar-forderungen an die Bonner Regierung sein Amt als Präsident der Schweizerischen Liga für Menschen-rechte; weitgehend seine Reputation. Sein deutscher Kollege Claus Croissant blieb nicht nur RAF-Sympathisant und RAF-Unterstützer, sondern war zudem Jahre später auch noch Agent des Ministeriums für Staatssicherheit (IM Thaler) tätig. In Frankreich, wo Croissant "politisches Asyl als Verfolgter" beantragt hatte, wurde er im November 1977 in deutsche Haft-anstalten abgeschoben. Es begannen Croissant-Jahre mit Gefängnissen, Geldstrafen, Berufsverbot. Den Kontakt zu seinen einstigen Freunden hatte er längst verloren. Er starb im 2002 in Berlin. - Momente aus dem Deutschen Herbst mit seinen Neben-Schauplätzen in Genf und Paris. - Wirre Zeiten in einer vom Terror entgeisterten Angst-Epoche.



stern, Hamburg
22. September 1977 / 02. Oktober 1977
von Reimar Oltmanns
und Michael Seufert

Als Klaus Croissant die Geschichte vom "verlorenen Sohn" erzählte, wusste er noch nicht, dass es vorerst sein letzter Auftritt war. Verfolgt von der bundes-deutschen "Barbaren-Polizei" , so tönte der Anwalt, sei er heimgekehrt nach Frankreich, in das Land seiner Väter. So wie die Burgunder und Hugenotten vor den Greifern des Sonnenkönigs Ludwig XIV. (1638-1717) hätten flüchten müssen, ergehe es nun ihm im 20. Jahrhundert. Nur: Der Unterdrücker sei heute nicht mehr der König, sondern der Kanzler am Rhein. Und die Gehilfen des Helmut Schmidt (1974-1982) seien die alten NS-Blockwarte, die schon "fünf Jahre nach dem Krieg die Köpfe erhoben und ihre Plätze wieder einnahmen". Das Deutschland der "Nazi-Väter", so Croissant, habe ihm keine "Freiheits-Garantien" mehr geben können. Deshalb könne er nur von Frankreich aus der Bonner Regierung den Kampf ansagen und den Verfolgten zur Seite stehen.

Croissants Gesprächspartner, der Pariser Journalist Charles Blanchard von der sozialistischen Tages-zeitung "Le Matin", war "tief beeindruckt", als er das Versteck des flüchtigen Anwalts in der Avenue Général Leclerc verließ. Blanchard konzedierte: "Er war mir sehr sympathisch. Wir hatten ein warmherziges Gespräch." Das war am vergangenen Freitag 16. September 1977 um 14 Uhr.

FESTNAHME IN PARIS

Bereits um 15.28 Uhr riegelten 80 Polizisten der 6. Territorial-Brigade den Häuserblock im 14. Pariser Stadtbezirk hermetisch ab. Scharfschützen postierten sich auf Dächern und in Hausfluren. Robert Cotté, seit 22 Jahren Hausmeister des Blocks 110, berichtet: "Ein Stoßtrupp eilte auf den Hinterhof. Einer sagte mir, ich solle schnell im Haus verschwinden, damit mir nichts passiert."

Die Polizisten pirschten sich vor bis an die letzte Tür auf dem Hinterhof. Mit entsicherten Pistolen stießen zwei Beamte dann die Tür auf. Auf dem düsteren Wohnungs-flur kam ihnen Klaus Croissant bereits entgegen. Er trug einen dunkelblauen Rollkragenpullover und eine hellblaue Hose. Mit den Worten "wir haben einen Haftbefehl gegen Sie", legten die Beamten ihm die Handschellen an.

LENIN UND CROISSANT IMSELBEN HAUS

Als Croissant über den Hinterhof abgeführt wurde, sah Hausmeister Cotté seinen Untermieter, den er bislang nur aus der Zeitung kannte, zum ersten Mal. Cotté: "Ich sitze fast den ganzen Tag am Fenster. Doch ich habe dort niemanden kommen oder gehen sehen." Er mag sich damit trösten, dass seine Vorgänger in der Concierge-Loge auch nicht scharfsichtiger waren. Denn kein Geringerer als Wladimir Iljitsch Lenin hatte 1912 hier im selben Haus in der jetzigen Avenue Général Leclerc heimlich und unerkannt seine Pamphlete gedruckt.

Im Santé-Gefängnis, das mit seinen 15 Meter hohen Mauern einer mittelalterlichen Trutzburg ähnelt, verlas Staatsanwalt Moyal dem "heimgekehrten Sohn" den internationalen Haftbefehl und das Auslieferungs-gesuchen der Bundesrepublik. Begründung: Komplizen-schaft mit einer kriminellen Vereinigung. Croissant, obwohl perfekt Französisch sprechend, hüllte sich in Schweigen.

POLITISCHES ASYL

Dafür soll jetzt sein Rechtsanwalt Roland Dumas (späterer Außenminister in den Jahren 1984-1986 und 1988-1993) die französische Linke mobilisieren. Dumas, ein Intimfreund des Sozialistenchef François Mitterrand (1916-1996) und seinerzeit als Justiz-minister einer Volksfront-Regierung im Gespräch, hatte bereits am 11. Juli 1977 erfolglos einen Asyl-Antrag seines Mandanten bei den Pariser Behörden gestellt. Roland Dumas: "Ich finde es völlig unstatthaft, einen ausländischen Rechtsanwalt festzunehmen, der um politisches Asyl in unserem Land gebeten hat."

Doch zu einer großen Polit-Affäre dürfte der Fall Croissant kaum ausreichen. Denn bevor die Linke sich formieren kann, wollen die französischen Behörden den verhafteten Advokaten schon in die Bundesrepublik abgeschoben haben.

EXKLUSIV-STORY IM UNTERGRUND

Dass die Pariser Polizei ihn überhaupt fand, verdankt sie dem Journalisten Charles Blanchard. Er wurde seit längerem beschattet. Als er jetzt die Exklusiv-Story im Untergrund suchte und Croissant die Selbstdarstellung in Sachen "Nazi Deutsch-land", legte Blanchard unfreiwillig die Spur. Hätte Croissant den Rat seines Vor-Vor-Mieters Lenin beherzigt, wäre ihm die Festnahme vielleicht noch für einige Zeit erspart geblieben. Lenin hatte im Exil formuliert: "Ein Revolu-tionär, der sich nicht anpassen kann. ist kein Revolu-tionär, sondern ein Schwätzer."

Aber ein Freund großer Worte war Klaus Croissant schon immer. In zahllosen Agitprop-Aktionen profilierte er sich zu einer Art PR-Manager der "Rote Armee Fraktion" (RAF). Für die Staatsanwaltschaft in Stuttgart gilt er zugleich als der Zuchtmeister aller Banden-mitglieder und Werber für den Terroristen-Nachwuchs. Und als ein Mann, der gefügig folgt, wenn RAF-Chef Andreas Baader (1943-1977) befiehlt.

JUNGGESELLE MIT GUTEN MANIEREN

Dabei begann dieser Dr. Klaus Croissant (1931-2002) seine Karriere genauso bürgerlich wie viele seiner Anarcho-Klienten. Sein nobles Büro im WMF-Haus an der Königstraße im Zentrum der Schwaben-Metropole war beliebter Treffpunkt der Stuttgarter Schickeria und vor allem trennungswilliger Damen. "Er macht so saubere Scheidungen, so ganz ohne schmutzige Wäsche", hieß es lobend. Ein braver Mann also, ein Junggeselle mit guten Manieren und Kunstverstand, ein gerngesehener Partygast und Feinschmecker.

Geboren wurde er am 24. Mai 1931 in der schwäbischen Provinz. Am Fuße der Schwäbischen Alb, in Kirch-heim / Teck bei Esslingen, besaß sein Vater Hermann eine Drogerie. Als der Vater 1954 starb, führte die Mutter das Geschäft weiter. Der brave Sohn Klaus machte 1951 sein Abitur an der "Oberschule für Jungen" in Kirchheim und studierte bis Ende 1955 Jura in Tübingen und Heidelberg.

DUBIOSE LEITFIGUREN

1961 - inzwischen 30 Jahre alt - ließ er sich in Stuttgart als Anwalt nieder; Croissant, der spätere Links-Anwalt", zählte damals noch Industrielle zu seinen Klienten. Er galt als Sympathisant der Freien Demokraten. Und nach dem Schwaben-Motto "Schaffe, schaffe, Häusle baue" kaufte er sich zwei Eigentumswohnungen in Stuttgart.

Zwei Kollegen brachten den eher theoretisierenden und zaudernden Schwaben vom Pfad der bürgerlichen Tugenden ab und auf die Seite jener, die den "revolu-tionären Kampf" auf ihre Fahnen geschrieben hatten. Das eine große Vorbild war der Berliner Rechtsanwalt Horst Mahler (1970 Gründungsmitglied der RAF, rechtskräftig verurteilter Rechtsextremist und Antisemit) - ein Mann, der als Staranwalt der APO zum Schrecken konservativer Richter wurde. Die zweite Leitfigur war sein Kollege Jörg Lang. Er überzeugte Croissant davon, dass in der Bundesrepublik der "blanke Faschismus" herrsche und der Kampf dagegen jedes Mittel rechtfertige. Später, als Sozius in der Stuttgarter Anwaltskanzlei organisierte Lang bundesweit die "Komitees gegen Folter", ehe er schließlich selbst in den Untergrund ging.

NACHRICHTENZENTRALE FÜR TERRORISTEN

Klaus Croissant hatte inzwischen seine Kanzlei von der Nobeladresse in eine Seitenstraße verlegt. Dieses Büro unterm Dach des Hauses Lange Straße 3 wurde nach Ansicht der Staatsschützer zur Schaltstelle und Nachrichtenzentrale für Terroristen. Von hier aus kurbelte Croissant auf Anweisung von Andreas Baader und Ulrike Meinhof (1934-1976) die Kampagnen gegen die "Isolationsfolter", "Gehirnwäsche" und "Mord an Holger Meins" an. Im April 1974, noch ehe der große BM-Prozess in Stuttgart-Stammheim überhaupt begonnen hatte, wurde Croissant wegen des Verdachts der "Unterstützung einer kriminellen Vereinigung" die Verteidigung für Andreas Baader entzogen.

Der Anwalt nahm daraufhin zwei neue Kollegen in seine Kanzlei auf - Arndt Müller und Armin Newerla. Doch auch sie gerieten schnell ins Visier der Staatsschützer. Newerla wurde im August 1977 verhaftet, Arndt Müller folgte einen Monat später in die Untersuchungshaft. Auch ihnen wirft die Staatsanwaltschaft vor, eine kriminelle Vereinigung unterstützt zu haben.

DER "REISE-ANWALT"

Arndt Müller, 1942 in Leipzig geboren und seit 1975 Sozius von Croissant, gilt bei der Justiz als "Reise-Anwalt". Als ein Mann, der die RAF-Gefangenen nicht anwaltlich berät, sondern ausgestattet mit zahlreichen Untervollmachten die Häftlinge von Hamburg bis Stammheim besucht, mit Informationen versorgt und Befehle übermittelt. Vom Oktober 1975 bis zum Juni 1977 registrierten die Justizbehörden 517 Müller-Besuche bei RAF-Häftlingen. Seinen Rekord stellte er im Januar 1976 auf: 39 Besuche in 31 Tagen.

Argwöhnisch vermerkten die Fahnder vom Bundes-kriminalamt auch, dass Müller von Dezember 1976 bis April 1977 mindestens 15mal lange, unbe-wachte Gespräche in Stuttgart-Stammheim mit Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe führte. Zur gleichen Zeit besuchte er auch Siegfried Haag und Sabine Schmitz in ihren Gefängniszellen, die - so das BKA - die Ermordung von Generalbundesanwalt Siegfried Buback (1920-1977) und andere Terror-aktionen geplant und vorbereitet haben.

Einer anderen Reise Arndt Müllers maßen die Ermittler erst später Bedeutung bei - einer Fahrt via Saarbrücken nach Frankreich am 10. Januar 1977. Auf dem Bei-fahrersitz registrierten die Bundesgrenzschützer damals die 28jährige Brigitte Mohnhaupt. Inzwischen, nach dem Polizisten-Mord von Utrecht, ist sie die meist-gesuchte Frau in Holland. (1982 verhaftet, wegen neunfachen Mordes zu fünfmal lebenslänglich und 15 Jahren verurteilt. Nach 24 Jahren auf Bewährung im Jahre 2007 vorzeitig aus der Haft entlassen).

Sorgsam notierte des BKA auch die Verbindung steckbrieflich gesuchte Terroristen zur Croissant-Kanzlei. So betätigte sich Willy Peter Stoll, der als Helfer des mutmaßlichen Buback-Attentäters Günter Sonnenberg ( 1978 zu zwei Mal lebens-länglich verurteilt, 1992 vorzeitig auf Bewährung aus der Haft entlassen) auf der Fahndungsliste steht im Februar 1975 als Briefträger für Croissant. In der Haft-anstalt Stammheim lieferte er einen Brief an Andreas Baader ab.

Und auch die vier Frauen, die im Zusammenhang mit der Ermordung des Bankiers Jürgen Ponto (1923-1977) in Oberursel /Taunus gesucht werden, waren vorher Helfer des Anwalts Croissant. - Angelika Speitel, Silke Maier-Witt, Sigrid Sternebeck und Susanne Albrecht tippten Briefe in der Stuttgarter Kanzlei, schnitten im Düssel-dorfer "Stockholm-Prozess" die Verhandlung auf Tonband mit oder trugen dem Chef im Gericht die Robe nach.

BEKENNER-BRIEF

Als ein weiteres Indiz für die Verstrickungen Croissants mit der Terroristenszene werten die Ermittler die Tat-sache, dass bei einer Durchsuchung der Kanzlei in der Langen Straße 3 im Juli 1977 der Original-Bekenner-brief der Buback-Mörder gefunden worden war.

Wenn Klaus Croissant von Frankreich nach Deutschland abgeschoben wird, erwartet ihn in Stuttgart eine 263 Seiten starke Anklageschrift wegen Unterstützung der RAF. So ganz neu ist diese Akte allerdings nicht. Ein Jahr lang hatte sie auf dem Tisch der 12. Großen Strafkammer des Stuttgarter Land-gerichts geschmort, ohne dass die Hauptverhandlung begann. Erst die spektakuläre Flucht des Angeklagten und die bestürzte Reaktion der Öffentlichkeit trieben die Richter zur Eile an.

ANSPRUCH AUF ACHTUNG

Dass Revolutionäre in Deutschland auf wenig Sympathie stoßen, hatte Croissant schon 1972 in einem Fernsehinterview beklagt: "Ich würde die Entscheidung desjenigen, der völlig mit dieser Gesellschaft gebrochen hat und sich zu einem bewaffneten Kampf entschlossen hat, anerkennen. Ich meine, dass auch derjenige, der sich als Revolutionär versteht, Anspruch auf Achtung hat. Und ich meine, dass es gerade daran in unserem Staat fehlt."

Wenn die Stuttgarter Richter ihm die Achtung versagen, erwartet Croissant eine Strafe bis zu fünf Jahren Haft.

NACHTS, WENN DER ANWALT VERSCHWINDET

Deutschland im Herbst des Jahres 1977.- Szenenwechsel, Ortswechsel, Milieusprünge, vom mondänen Paris ins streng calvinistisch geprägte Genf zum Schweizer Anwalt Denis Payot, dem Mittler zwischen Bonn und den RAF-Entführern des Arbeitgeber-Präsidenten Hanns-Martin Schleyer (1915-1977).

Mit der Hand streicht sich der 35jährige Denis Payot über die stacheligen Wangen: "Entschuldigen Sie bitte die Barstoppeln", sagt er eitel lächelnd, "aber ich bin sehr lange unterwegs gewesen." Die blonden Stoppeln des Denis Payot sind der sichtbare Nachweis seiner Aktivitäten und seines Einflusses im Entführungsfall Hanns-Martin Schleyer. Und mit dem Stoppeln wächst der Ruhm, den er sichtlich genießt.

SCHLÜSSELWORTE FÜR SCHLÜSSELFIGUREN

Über Nacht wurde der noch recht junge Anwalt, Präsident der Schweizer Liga für Menschenrechte, Sohn eines protestantischen Theologen aus der Genfer Oberschicht, zur Schlüsselfigur zwischen Bonner Krisenstab und den Schleyer-Entführern.

Wenn Payot frühmorgens in seiner geheimnisvollen Mission von irgendwoher - vermutlich Frankreich - nach Genf zurückkehrt, haben seine Mitarbeiter die internationale Presse schon durchforstet. Nach Ländern gegliedert, liegen die Artikel mit seinem Namen auf dem stumpfen Parkettboden: Payot und nochmals Payot. Sein Name ist nicht zu übersehen. Mit grünem Filzstift unterstrichen, hebt er sich bedeutungsvoll vom sonstigen Krisengerangel ab.

EITEL, KOKETT, WELTBERÜHMT

Als sei ihm das Zeitungsgequatsche egal, schlendert der Jungadvokat an der stattlichen Kollektion vorbei und macht vor einem englischen Spiegel halt. Nach dem Motto, "Spieglein, Spieglein an der Wand, was gibt es Neues im Land", riskiert einen Blick auf den übernächtigten jungen Rechtsanwalt, der auf so dramatische Art plötzlich weltberühmt wurde.

LÄCHERLICHKEITEN IM KRISENSTAB

Dabei fühlt sich Denis Payot nicht bloß als einfacher "Kontaktmann zwischen der deutschen Regierung und den Entführern." Ein "Vermittler in eigener Regie und Verantwortung" will er sein. Den Terroristen will er verdeutlicht haben, dass er die "Entführung missbilligt". Was Payot von der Rechtsordnung der Bundesrepublik hält, präzisiert er: "Dort würde ich zum Sympathisanten gezählt und von der Verteidigung der Terroristen ausgeschlossen, obwohl das eine völlig falsche Einstufung wäre." Mit der Bundesrepublik hat er sowieso nicht viel im Sinn: "Da herrscht ein schreckliches Klima", und über den Bonner Krisenstab im Kanzleramt könne er zu gegebener Zeit "einige Lächerlichkeiten publik machen, die die Blamage perfekt machten."

EINEN NAMEN MACHEN

Publizität ist das Schlüsselwort für die Schlüsselfigur Payot. Auch Bonn hat seinen Selbstdarstellungsdrang erkannt. Regierungssprecher Grünewald will ihn noch ein bisschen bei Ruhe halten, "so sehr er auch bestrebt ist, die Aufmerksamkeit auf sich zu richten". Das wird den Bonnern kaum gelingen. Denn Denis Payot - erst seit 18 Monaten Anwalt - will sich jetzt in Sachen Humanität einen internationalen Namen machen. Da nützt es wenig, wenn das Bundeskriminalamt ihn bittet, die Mit-teilungen geheim zu halten. Payot lässt alle Details an Schweizer Redaktionen durch-telefonieren. Ein Schweizer lasse sich nun mal nicht das Maul verbieten.

POSE EINES UNO-DIPLOMATEN

Als er an diesem Nachmittag seine Kanzlei am Boulevard Georges Favon betritt, hängt sich eine Traube von Journalisten an den kraushaarigen Juristen. In der Pose eines UNO-Diplomaten wimmelt er alle Fragen ab. Auf "Monsieur Payot" reagiert er erst gar nicht. Auf "Maître Payot" (Maître ist in französischsprachigen Ländern die respektvolle Anrede für Anwälte) ließ er einen Korrespondenten wissen, er werde um 19 Uhr eine "wichtige Erklärung" abgeben. Die Journalisten rasen zum Presse-zentrum der UNO zurück, telefonieren mit ihren Redaktionen. Denn zur selben Stunde tagt am Rhein der Große Krisenstab und ein neues Ultimatum läuft um 24 Uhr ab. Kurz vor 19 Uhr scharen sich 50 Korrespondenten vorm Fernschreiber. Erwartungsvoll wird die Meldung vom Ticker gerissen. "Maître Payot teilt mit, 'er werde weiter zur Verfügung stehen und dankt den Journalisten für ihre Arbeit' ".

MEISTER PAYOT DRÄNGT'S

Am nächsten Tag drängt es den Meister wiederum, in der Presse zu stehen. Gleich zwei Erklärungen sind geplant. Um 15 Uhr verurteilt er auf einer Pressekonferenz die Folter in Israel. "Maître Payot" habe sich zwar nicht vor Ort informieren können, sei aber von der Richtigkeit der Dokumente überzeugt. Um 17. 15 Uhr teilt er der Öffentlichkeit nichts Neues im Fall Schleyer mit. Die Meldung des nächsten Tages: "Vorwürfe Payots gegen Israel." - Payot bestätigt, Botschaften erhalten zu haben."

EIN LEBEN FÜR DIE ÖFFENTLICHKEIT

Eine Zeitung, die auf seinem Schreibtisch liegt, ist ihm besonders ans Herz gewachsen. Das Schweizer Boulevard-Blatt "Tat" berichtete in großen Lettern: "Schmidt schnauzt Anwalt Payot an." Daneben zwei Fotos, die den Kanzler und den Jungjuristen mit einem Telefonhörer zeigen. Helmut Schmidt schaut ernst drein, Payot lächelt staatsmännisch. Danach gefragt, ob er mit dem Kanzler telefoniert und ob der ihm präzise sein Mandat erklärt habe, will Denis Payot nichts sagen. Sein Schweigen ist verständlich. Sonst könnte gar in der Schweiz der Eindruck entstehen, er sei für den Regierungschef der sozial-liberalen Koalition noch eine Nummer zu klein. So bleibt ihm die Schlagzeile.

FURCHT VOR FALSCHEN EINDRÜCKEN

Vor falschen Eindrücken hat sich der Manager für Menschenrechte schon immer gefürchtet. Vor allem dann, wenn ihm Kontakte zum Terroristenanwalt Klaus Croissant nachgesagt werden. Er kenne ihn persönlich gar nicht, bemerkte Payot lapidar. Dass Payot jedoch im Juli 1976 in Amsterdam eine von Croissant initiierte Erklärung zur "Abschaffung der Folter" in bundesdeutschen Gefängnissen unter-schrieben hat, verschweigt er geflissentlich. Dass Pfarrer Ensslin im April 1977 mit ihm zusammentraf, um die Anerkennung seiner Tochter als politische Gefangene zu erreichen, daran erinnert er sich heute nur noch dunkel. Dass Croissant in diesen Jahr bereits drei Mal bei ihm in Genf gewesen sein soll, ist ihm völlig neu.

Seine Deutschkenntnisse enden beim Begriff "Berufsverbot", den er allersdings so einwandfrei ausspricht, als stehe er wöchentlich vor einem deutschen Verwaltungs-gericht. Ihm, dem Denis Payot, gehe es bei der Schleyer-Entführung nur um den Menschen. "Mein Ziel ist es. das Leben von Hanns-Martin Schleyer unter allen Umständen zu retten. Auch wenn die Bundesrepublik in Bonn hart bleiben sollte."

Uns interessiert nicht, was Bonner Politiker für Staatsräson halten und ob sich in der Bundesrepublik die Krise zuspitzt", sagt Payots engster Berater, der Rechtsanwalt Philippe Preti. "Wenn die Deutschen das Problem mit Gewalt lösen wollen, werden wir wichtig Informationen durchsickern lassen. Die deutschen Behörden wüssten dann nicht mehr, was sie tun sollten."

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Nachtrag - Sechzehn Tage später - am 18. Oktober 1977 - wurde Hanns-Martin Schleyer durch drei Kopfschüsse ermordet und am darauffolgenden Tag im französischen Mulhouse im Kofferraum eines Audi 100 tot aufgefunden. Die Identität des Mörders wird von den Akteuren der Entführung bis dato unter Verschluss gehalten. Lediglich im "Spiegel" offenbarte Ex-RAF-Mitglied Peter-Jürgen Broock im September 2007, dass Rolf Heißler und Stefan Wisniewski die Täter seien.