Donnerstag, 16. September 1976

Wahlkampf in deutschen Landen: "Mit besten Wünschen Euer Pfarrer"


























stern, Hamburg
16. September 1976
von Reimar Oltmanns



Mit der Verketzerung der sozialliberalen Koalition (1969-1982) will die katholische Kirche der CDU/CSU in den siebziger Jahren zum Wahlsieg verhelfen


Ein Exorzist kommt selten allein. Der Pfarrer Ernst Alt, 38, und der Salvatorianerpater Arnold Renz, 65, versuchten, die Dämonen aus dem Körper der 23jährigen Anneliese Michel im fränkischen Klingenberg zu vertreiben. Die Oberhirten der beiden wollten jetzt die Teufel SPD und FDP aus den Köpfen der katholischen Wähler verbannen.

RELIGIÖSE ENTSCHEIDUNG

Im Kampf der Amtskirche gegen die ungeliebten Sozialdemokraten ist die Bundestagswahl am 3. Oktober 1976 "nicht nur eine politische, sondern auch eine religiöse Entscheidung. Wer das nicht jedem Nachbarn und Arbeitskollegen klarmacht und nicht auch durch intensives Gebet zu einer christlichen Entscheidung beiträgt, ist ein Mitläufer des Bösen", warnt die "größte christliche Wochenzeitung Europas", die "neue bildpost", ihre katholischen Leser zwischen Papenburg im Emsland und Altötting in Oberbayern.

LAND DES UNTERGANGS

Das Boulevardblatt, das jeden Sonntag zwischen Altar und Beichtstuhl feilgeboten und von rund einer Millionen Katholiken gelesen wird, behauptete schon vor zwei Jahren, dass der "rote Sozialismus" dabei sei, "aus dem restlichen Deutschland ein Land des Untergangs zu machen." Jetzt schreckt die fromme Postille (Schlagzeile "Kardinal Döpfner: Ja, ich begegnete Gott") vor keiner Diskriminierung des politischen Gegners zurück, um im Wahlkampf Stimmung gegen SPD und FDP zu machen.

TERRORISTEN ALS SPD-MITGLIEDER

So stellt die "neue bildpost" den Terroristen Rolf Pohle (*1942+2004) als Sozialdemokraten vor, der "wegen Landfriedensbruch in der SPD bleiben durfte und erst ein völlig freischwebender Anarchist geworden ist, seit er seinen SPD-Mitgliedsbeitrag nicht mehr zahlt": Für die "bildpost"-Redakteure ist SPD-Chef Willy Brandt (*1913+1992) "ein Badefreund Breschnews", (*1906+1992, Parteichef der KPdSU 1964-1982) - der "Hauptverantwortliche für die geistige Lynchstimmung" und "die Schlüsselfigur für die mögliche Sowjetisierung Europas". Bundeskanzler Helmut Schmidt (1974-1982) "will jetzt unsere Zukunft mit Gesinnungspartnern aufbauen, die den Kommunisten in ihrem Land in den Sattel helfen."

GELDER FÜR KOMMUNISTEN

Und die Bereitschaft von dem FDP-Vorsitzenden Hans-Dietrich Genscher (1974-1985) wieder mit der SPD zu koalieren, ist "als demokratische 'Todsünde' weithin erkannt". Der Außenminister ist für die "neue bildpost" der Politiker, der die Forderung nach einem DKP-Verbot als "demagogisch" abblockt. Dafür, so wird dem Leser suggeriert, zahlt Bonn "Steuergelder für die Unterwanderer, wenn Kommunisten Ansprüche anmelden."

CDU-WEIN IST WAHRHEIT

Bei der Agitation gegen das SPD/FDP-Regierungsbündnis setzen die katholischen Bischöfe nicht nur auf die "neue bildpost", sondern sie lassen auch ihre 22 Bistumsblätter (wöchentliche Auflage: zwei Millionen) kräftig mitmischen. Das "Regensburger Bistumsblatt" des Bischofs Rudolf Graber, 73, (*1903+1992) glaubt, nur die "süddeutsche Union" mit den CDU/CSU-Rechtaußen Franz-Josef Strauß, Hans Filbinger und Alfred Dregger garantiere einen Wahlsieg der Unionschristen. Die Regensburger: "Das sind nicht Albrecht, Stoltenberg, Biedenkopf, Barzel ... Möge die Union dort lächeln, zaubern, freundlich sein, Küsschen werden, I-like-Mainzelmännchen-Helmut-singen ... Der Wähler will die Wahrheit wissen! Im Baden-Württemberger CDU-Wein ist Wahrheit."

ANTICHRISTEN IN DIESEM LAND

Das "Passauer Bistumsblatt" des Bischofs Antonius Hofmann, 67, (*1909+2000) fragt die SPD scheinheilig, "wie lange es ihr noch gelänge, antichristliche Kräfte in ihren Reihen niederzuhalten". Auf eine Antwort der Sozialdemokraten wird allerdings kein Wert gelegt. Die Redakteure fordern die Leser auf, "dem Antichristen bei der Bundestagswahl mit dem Stimmzettel eine entsprechende legale Antwort zu geben."

BISCHÖFE IN DEN RING

Die Würzburger "Deutsche Tagespost" will "die katholischen Bischöfe in den Ring rufen. Von ihnen wird eine Wahlempfehlung erwartet, an der es nichts zu deuteln gibt". Die "Tagespost" empfiehlt, prominente Katholiken aus SPD und FDP zu vergraulen: "Das Wort der Bischöfe müsste diesmal so deutlich sein, dass auch Persönlichkeiten wie die Sozialdemokraten Georg Leber, Hermann Schmitt-Vockenhausen oder der FDP-Mann Josef Ertl gezwungen werden, ihren Balanceakt zwischen ihrer Kirche und ihrer kirchenfeindlichen Partei aufzugeben...".

GEGEN ABTREIBUNG

Die katholische Kirche hat sich zum Endkampf gegen die sozial-liberale Koalition gerüstet. Vergessen ist das noch vor vier Jahren gültige Rezept, mit der Bonner Regierungen einen - wenn auch zaghaften - Dialog zu beginnen (Herbert Wehner damals: "Wir sollen miteinander reden und uns aufmerksam zuhören"). Der lose Gesprächsfaden riss, als die Sozial-Liberalen mit der Reform des Abtreibungsparagrafen 218 und des Ehe- und Scheidungsrechts ernst machen und dabei auf den erbitterten Widerstand des konservativen Klerus stießen.

TRENNUNG VON KIRCHE UND STAAT

Als Generalangriff auf den christlichen Glauben werteten die Oberhirten den Beschluss der FDP, Kirche und Staat strikt zu trennen, und den Erlass von Rahmenrichtlinien für den Schulunterricht in Hessen und Nordrhein-Westfalen, mit denen der kirchliche Einfluss weiter zurückgedrängt wurde. Der Kölner Erzbischof Joseph Kardinal Höffner (*1906+1987) erklärte: "Abgeordnete, die nicht bereit sind, die Unantastbarkeit menschlichen Lebens ... zu gewährleisten, sind für einen gläubigen Christen nicht wählbar."

SCHARFMACHER VIELERORTS

Oberwasser haben seitdem wieder jene Scharfmacher in der katholischen Kirche, die schon bei der letzten Bundestagswahl 1972 gegen die Sozial-Liberalen zu Felde gezogen sind. Im November 1972 appellierte zum Beispiel der "Nußbacher Pfarrbote" (Nr. 47) an die Gemeinde: "Als Christen sollten wir eigentlich wissen, wohin wir unsere Kreuze machen, nämlich in die Felder der CDU ... Als Pfarrer muss ich es mir leider versagen, im 'Pfarrboten' über die politische Zwielichtigkeit führender Männer und Bewerber ... zu schreiben ... Wenigstens einen Fall nimmt die heutige 'bildpost' , die im übrigen sehr zu empfehlen ist, unter die Lupe. Wer mehr wissen will, möge nach Oberkirch auf die CDU-Kreisstelle gehen und sich dort informieren. Wir haben viel Grund zu beten, dass sich unser Volk erneuere, ohne dass uns eine tödliche Diktatur wieder in den Senkel stellt. Mit den besten Wünschen, Euer Pfarrer."

Und im amtlichen Mitteilungsblatt der württembergischen Gemeinde Fronstetten rief der Pfarrer seinen Gläubigen zu: "Der mündige Christ soll selber entscheiden. Nur keine Manipulation! Aber wenn Sie es wissen wollen, wie ich persönlich denke und was ich persönlich wähle, dann sage ich Ihnen das ganz offen und ehrlich: Ich für meine Person wähle die CDU."

GEHARNISCHTER HIRTENBRIEF

Der CDU-Pressesprecher Karl Hugo Pruys (1973-1977) ist sicher, dass die Kirche auch diesmal einen geharnischten Hirtenbrief zur Bundestagswahl veröffentlichen wird: "Der wird kommen, ob uns das passt oder nicht." Denn seit dem Tod Julius Kardinal Döpfners (*1913+1976), der stets Respekt vor SPD-Chef Willy Brandt hatte, ist die viel zitierte kirchliche Neutralität gegenüber den Parteien aufgehoben.

WER LUST WILL , DEM VERGEHT SIE

In der Bischofskonferenz gibt jetzt der ultra-rechte Kölner Kardinal Höffner ("Wer Lust will, dem vergeht sie") den Ton an. Der militante Oberhirte und seine Amtsbrüder glauben, in einer Notstands-Gesellschaft" zu leben, die einen Kulturkampf zwischen Christentum und Sozialismus rechtfertigt. Prälat Wilhelm Wöste (*1911+1993), Leiter des Kommissariats der deutschen Bischöfe in Bonn: "Die Kirche hat auch die französische Revolution überlebt, obwohl sie sieben Jahre verboten war." Die Losung der Bischöfe heißt deshalb: "Nicht klagen, sondern handeln" (Höffner).

o Für Kardinal Höffner sind Schulen, in denen nach den neuen Rahmenrichtlinien des nordhrein-westfälischen Kultusministeriums unterrichtet wird, für "gläubige Christen keine Heimat, sondern ein besetztes Gebiet".

o Für den Aachener Bischof Johannes Pohlschneider (*1899+1981) besteht der Eindruck, dass die Rahmenrichtlinien eine "Entchristlichung" der Schulen einleiten und dass "aufbauende geistige Werte wie Religion, Ehrfurcht vor Gott und seinem Gesetz, Achtung vor Nächstenliebe und Opferbereitschaft" keine Beachtung mehr finden.

o Für den Augsburger Bischof Joseph Stimpfle (*1916+1996) ist "die rechtsstaatliche Ordnung bei uns nicht mehr gewährleistet", weil der Abtreibungsparagraf und das Familienrecht liberalisiert wurden.

o Für Franz Hengsbach (*1910+1991), Bischof von Essen, ist diese Reform der "seit 1945 bedenklichste Angriff gegen die sittlichen Grundwerte unserer Gesellschaft".

o Der Regensburger Bischof Rudolf Graber geht noch einen Schritt weiter: "Das Abendland stirbt, und es lacht und tanzt dazu."

o Der Hildesheimer Bischof Heinrich-Maria Janssen (*1907+1988) stellt die SPD/FDP-Reformpolitik auf eine Stufe mit Nazi-Verbrechen: "Die katholischen Bischöfe werden dazu nicht schweigen, sowenig, wie sie zu den Verbrechen des Nationalsozialismus geschwiegen haben."

o Der Münsteraner Bischof Heinrich Tenhumberg (*1915+1979) beschimpft die Bundesrepublik als "sozialistischen Nachwächterstaat" und beklagt sich darüber, dass nach der Steuerreform einige hundert Kirchen weniger gebaut werden können.

o Das Erzbischöfliche Ordinariat von München erklärte: "Die SPD soll sich künftig ihre Wähler anderswo als bei den Katholiken suchen."

SOGAR KARTOFFELN KATHOLISCH

Dieser Meinung sind auch der katholische CDU-Kanzlerkandidat Helmut Kohl und sein bayerischer Lehrmeister Franz Josef Strauß (*1915+1988). Um am 3. Oktober 1976 die absolute Mehrheit zu erzielen, muss die Union vor allem in katholischen Gebieten Stimmen zurückgewinnen, die 1972 auf das Konto der SPD gingen. Damals waren 35 Prozent der SPD-Wähler katholisch.

So erzielten die Sozialdemokraten in den tiefschwarzen Wahlkreisen Cloppenburg und Emsland Zugewinne von 4,4 beziehungsweise 5,7 Prozent. Im niederrheinischen Kleve (Schriftsteller Heinrich Böll (*1917+1985) : "Da sind sogar die Kartoffeln katholisch") erreichten die Genossen eine Aufwertung von 6,1 Prozent.

FLIRT DER PRÄLATEN

Katholik Strauß klagte: "Der Flirt der Prälaten mit der SPD zahlt sich bitter aus." Und Kohl, der sich als politischer Erbe Konrad Adenauers (*1876+1967) stilisiert, möchte den alten "Kölnischen Klüngel" aus den fünfiger Jahren wiederbeleben, als sich Hochfinanz und Oberhirten die Türklinke des Palais Schaumburg in die Hand geben. So achtet der Mainzer Politiker bei jedem Fernsehauftritt peinlich darauf, die "christlichen Grundwerte" zu beschwören. Und stets streicht der CDU-Chef die Rolle des Klerus heraus: "Die Kirchen vermitteln Wahrheiten, Wertauffassungen und Sinngebungen, die für ein Gemeinschaftsleben fundamental sind."

ERGEBENHEITS-ADRESSEN

Solche Ergebenheitsadressen lassen die Oberhirten hoffen, bei einem CDU/CSU-Wahlsieg würde die Abtreibung wieder unter Strafe gestellt und das Ehe- und Scheidungsrecht drastisch verschärft. Prälat Wöste glaubt sogar, mit einem Kanzler Kohl die Zeit zurückdrehen zu können: "In den beiden ersten Jahrzehnten hatten wir mehr Einfluss auf die Bonner Politik."

Die Verbrüderung der Unionsparteien mit der katholischen Kirche zeigt bereits erste Früchte. Auf einer gemeinsamen Veranstaltung mit dem nordrhein-westfälischen CDU-Oppositionsführers Heinrich Köppler (*1925+1980) in Düsseldorf appellierten katholische Priester der Diözesen Aachen und Paderborn an "die natürliche Verwandtschaft von Kirche und CDU" und beschworen die "gemeinsamen Wahlkämpfe in den fünfziger Jahren". CDU-Chef Kohl ließ sich auf einer Sitzung mit der Deutschen Bischofskonferenz sogar zu der Bemerkung hinreißen: "Die CDU-Aktivitäten an der Parteibasis" seien "praktisch mit den kirchlichen Kerngemeinschaften gleichzusetzen".

FREIHEIT STATT SOZIALISMUS

Als nützlicher Wahlkampfverein für die Christdemokraten hat sich vor allem das Zentralkomitee der Deutschen Katholiken unter Vorsitz des rheinland-pfälzischen CDU-Kultusminister Bernhard Vogel (1967-1976) erwiesen. Der Aufruf des Komitees zur Bundestagswahl (in einer Auflage von elf Millionen verbreitet ) stützt die anmaßende Alternative "Freiheit oder/statt Sozialismus" und die Behauptung der CDU, eine neue SPD/FDP-Regierung würde zu einem weiteren Verfall und Abbau moralischer Grundwerte führen.

Gegen den Vorwurf, die katholische Kirche betreibe ausschließlich die Wahlpropaganda der CDU/CSU, haben sich die Parteichristen schon vor Wochen gewappnetr. In der katholischen "Herder-Korrespondenz" erklärte Kohl: "Im Falle eines grundlegenden Wortkonflikts kann die Frage der Wählbarkeit und Nichtwählbarkeit einer Partei durchaus Gegenstand einer konkreten kirchlichen Erklärung sein, wenn die Glaubensgemeinschaft in dieser Frage einer Meinung ist."

VERLEUMDUNGSKAMPAGNEN

Trotz der kirchlichen Verleumdungskampagne wollen die Sozial-Liberalen vor der Wahl keinen Krach mit den Bischöfen anfangen, um die katholischen Wähler nicht in Gewissenskonflikte zu stürzen. Für die heiße Phase der Wahlschlacht gilt ein Wort von Bundeskanzler Helmut Schmidt (1974-1982): "Politiker, die das Wort Humanismus oder den Namen Jesu Christi in jeder ihrer politischen Reden im Munde führen, sind mir ein Greuel."