Donnerstag, 6. Mai 1976

Aus deutschen Landen - Rotwein, Runen, Rechtsradikale










































Aus den deutschen Landen Unverdautes frisch auf den Tisch - unverbesserliche Möchte-Gern-Germanen, die auf Götter mit sechs Fingern und auf eine rechtsradikale, nationale Wende der Nation warten

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stern, Hamburg
6. Mai 1976
von
Reimar Oltmanns
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Bruder Wali zündet die Kerzen an, Schwester Ostara die Weihrauchstäbchen. Bruder Mimir stellt ein hölzernes Runensymbol auf den Altar. Und Bruder Forseti legt einen schmiedeeisernen Thor-Hammer als Zeichen der Fruchtbarkeit dazu. Die Germanen feiern ihr "Nerthus-Thing" - das Erntedankfest.

Ort der Handlung: Bad Meinberg im Lippischen. Zeitpunkt: 16. Oktober 1976.

Zwei Dutzend "Germanen" zwischen drei und 78 Jahren im Hinterstübchen des "Hotel zur Post", Luren- und Trommelmusik vom Tonbandgerät. Zwei Männer im grünen Gewand mit aufgenähtem Runenzeichen huldigen den Göttern Odin, Thor und Freya. "Omi-odin-omi-odin, har! Here.here har", raunt Bruder Wali. "In fünf Jahren werden die Götter mit 40 Drachenschiffen nach 3000 Jahren Abwesenheit wieder zur Erde kommen", prophezeit Bruder Donar. "Lasset uns hier in Bad Meinberg, an den Externsteinen, ein Haus bauen, um unsere Götter empfangen zu können."

GÖTTER MIT SECHS FINGERN

Schwester Ostara fragt: "Wie werden wir sie erkennen? Bruder Donar: "Wir müssen auf ihre Hände achten. Sie haben nicht fünf, sondern sechs Finger."

Die Versammlung ist mit dieser Antwort zufrieden. Die Kinder sind es auch, als Oma Ostara am Altar Platz nimmt, um das Märchen vom Froschkönig und dem eisernen Heinrich zu erzählen.

Nächster Programmpunkt; Trankopfer. Bruder Wali schreitet zum Altar, holt eine Flasche Amselfelder Rotwein (Jugoslawien) aus der Aktentasche, spricht feierlich: "Heil Erdmutter Herta! Allvater Odin! Heil Asen und Wanen!" und gießt einen Schluck in ein Sinalco-Gas, das er sich vom Wirt geliehen hat.

NAZI-VERBRECHEN

Gastwirt Oppermann, der nicht wusste, an was für eine Sekte er sein Hinterstübchen vermietet hat, fasst sich an den Kopf. Der Weihrauch zieht durchs ganze Haus und stört die anderen Gäste im Biedermeier-Zimmer beim Essen. Oppermann will sich beschweren, kommt aber nicht zu Wort. Die Germanen singen gerade: "Üb immer Treu und Redlichkeit." Für Bruder Wali der Auftakt zu seiner Rede über "Die Erdmutter und ihre Kinder", in der er die Nazi-Verbrechen beschönigt. "Ich kann nur laut lachen, wenn ich sehe, wie die größten Menschenopferer Gräueltaten über ihre Feinde verbreiten. Neun Millionen hilfloser Menschen hat die Kirche in ihrer Blütezeit als Hexen und Ketzer ermordet, 30 Millionen hat der Kommunismus auf dem Gewissen. Glaubt mir, ich sage die Wahrheit." Dann weissagt Bruder Donar: "Ich sage euch, der Weltuntergang steht bevor. Denn die Götter kämpfen mit Waffen, die heller sind als die Sonne." Bruder Forseti, Vegetarier wie die meisten dieser Germanen, warnt: "Ich sage euch, solange es Schlachthäuser gibt, wird es Schlachtfelder geben."

WEIHRAUCHSTENGEL

Mittagszeit: Schwester Urdine drückt die Weihrauchstängel aus, die Männer legen ihre grünen Umhänge ab. Bruder Wali ist wieder Wolfgang Kantelberg, aus der NPD ausgeschieden, weil sie ihm zu links war, aktiv in der rechtsextremen "Aktion Widerstand". Schon einmal festgenommen, weil er in die Düsseldorfer Staatskanzlei des Ministerpräsidenten Heinz Kühn (1966-1978 - *1912+1992) mit Gewalt eingedrungen war. Aus Bruder Mimir wird Günter Sadlowski, Bauingenieur beim Stadtbauamt Krefeld und Ex-Funktionär der NPD. Bruder Forseti entpuppt sich als Alfons Libisch, einst SS-Mann und nach eigenen Angaben Blumen-Gärtner im Konzentrationslager Auschwitz ( 1940-1945).

DER GÄRTNER VON AUSCHWITZ

Kaum hat der 57jährige Libisch seine Suppe ausgelöffelt, holt er seinen Personalausweis aus der Tasche und zeigt seinen Mitgermanen, wie er über den Bundesadler einen Davidstern gemalt und aus der "Bundesrepublik Deutschland" eine "Jüdische Bundesrepublik Deutschland" gemacht hat. Dann erzählt der Gärtner von Auschwitz: " In den KZs war Ordnung und Sauberkeit. Da waren mehr Blumen als in einem Park eingepflanzt. Es ist die größte Lügengeschichte dieser jüdischen Räuberbande, dass ihnen dort ein Haar gekrümmt worden ist. Ein Sozialdemokrat hat sich bei mir sogar über seinen neunjährigen Aufenthalt bedankt."

"ÖFEN FÜR BRÖTCHEN ZU KLEIN"

Die Tafelrunde nickt beifällig. NPD-Sadlowski weiß: "Die Öfen waren ja fast für die Brötchen zu klein, Wie sollten denn da Menschen reinpassen." Und "Widerstandskämpfer" Kantelberg fragt empört: "Wie sollen wir unsere Volksgenossen von der Wahrheit überzeugen, wenn schon die Frau des Bundeskanzlers ungestraft 'Loki' heißen darf? (Loki Schmidt, Frau von Helmut Schmidt 1974-1982) . Loki: Feuergott und Gegenspieler des germanischen Hauptgottes Odin [Wotan]). Denn Loki ist für mich die Feuerhexe."

SEXUELLE ENTHALTSAMKEIT

Am Nachmittag steht "Meditation" auf der Tagesordnung. Wieder Kerzen, Weihrauch und Ordinsprüche. "Wer völkisch-national in der Welt etwas ändern will", verkündet Bruder Wali , "muss Spannkraft besitzen. nur sexuelle Enthaltsamkeit fördert die Konzentration." Seinen Brüdern und Schwestern präsentiert Wali nun einen Love-Tester, einen Liebesmesser aus Japan, dessen zwei Kontakte mit beiden Händen angefasst werden müssen. Wer ein ausgiebiges Liebesleben gehabt hat, erreicht, so Wali, höchstens Werte zwischen 20 und 40 Punkten auf der Skala. Wer enthaltsam lebt, kann mit Werten zwischen 100 bis 12o Punkten rechnen. "Nur solche Leute sind für unseren Kampf brauchbar", belehrt Wali seine Zuhörer. Deshalb soll jetzt jeder mit dem Love-Tester überprüft werden. Zwei junge Mädchen drücken sich leise aus der Stube.

LOVE-TESTER

Da geht Sex-Tester Wali eben zur Schwester Urda. Die 73jährige streckt ihm ihre faltigen Hände entgegen. Die Germanen warten gespannt auf das Love-Resultat der schlohweißen Oma: Doch über 40 Punkte kommt sie nicht. Bei der 76jährigen Schwester Ostara bleibt die Nadel sogar schon bei der Marke 20 stehen. Geraune im Hinterstübchen. Bruder Wali stimmt gleich wieder an "Omi-odin-omi-odin-har! Here-here har!"

RECHTSRADIKAL ÜBER RELIGION

Er und seine Gefolgsleute sind überzeugt, dass die Jugend für den Rechtsradikalismus "nur noch über die Religion zu gewinnen ist". Deshalb wollen die Odin-Brüder und Freya-Schwestern es den Krischna-, Guru- und Moon-Sekten nachmachen, die mit Meditation und dem Traum von einer heilen Welt immer mehr Jugendliche verführen. Nur mit einem Unterschied. Wali: "Bei uns muss niemand etwas bezahlen. Keiner wird bei uns ausgebeutet." Um der Pseudo-Religion ("Wiedergeburt der germanischen Religion") etwas Geheimnisvolles zu geben, tauften die Neo-Germanen ihren Kult-Verein "Gylfiliten" nach dem ersten sagenhaften Germanenkönig Gylfi.


EHEPARTNER FÜRS LEBEN

Die Gylfiliten-Truppe - die sich erst kürzlich vom größten Germanenverband "Goden" (4oo Mitglieder) abgespalten hat - will nicht nur Kult und Politik unter einen Hut bringen, den möglichst blauäugigen Jugendlichen sollen auch Ehepartner fürs Leben vermittelt werden. Natürlich germanisch-international. So in ihrem Mitteilungsblatt Odrörir, Nummer 10: "Plötzlich stand er bei uns vor der Türe, ein Hüne über zwei Meter, schlank und nordisch ... Persönlich leidet der kühne Schwede etwas daran, unverheiratet zu sein. Jeder Mensch möchte ja Familie haben. Vielleicht kennt der eine oder andere jemanden. Er ist knapp über dreißig und ortsungebunden." Oder: "Zeitsoldat und Gylfilit, 22 Jahre, wünscht zwecks späterer Heirat nettes Mädel (Kinder kein Hindernis), Hobby Reisen."

FRUCHTBARKEITS-HAMMER

Mit Reisen und Wandern wollen die Gylfiliten auch die Abenteuerlust der Schüler ansprechen. So zu dem germanischen Heiligtum auf den Externsteinen im Lippischen Land, zu denen sie am nächsten Tag um 6 Uhr in der Frühe aufbrechen. An der Spitze des Zuges laufen die Brüder Wali und Mimir, mit Feuerschale und grünen Gewändern unterm Arm. Dahinter Walis Frau Angelika, die Kinder Thora, 7, Thorsten,5, und Thorwald, 3. Auf der Felsspitze gibt Vater Wali mit dem Fruchbarkeitshammer seinen verschlafenen Kindern den ersten Gylfiliten-Segen. Spiritus-Flammen lodern aus der Feuerschale. Wieder Trankopfer mit preiswertem Balkan-Rotwein. Die bundesdeutschen Germanen zückten die Messer zur Waffenweihe. Wali intoniert: "Omi-odin-omi-odin hare"

HECKSCHEIBE MIT HITLER-BILD

Er ist glücklich, alles läuft, wie im Festprogramm geplant. Nur die Sonne, die anzubeten sie die Exsternsteine erstiegen, kommt nicht hervor. Alles bleibt im Nebel. Als die Sonne dann durchbricht, ist von den Gylfiliten nichts mehr zu sehen. Sie sitzen wieder im Hinterstübchen des Hotels zur Post am Altar.

Vor dem Hotel steht der VW-Transporter des Bruders Forseti. Er hat an die Heckscheibe ein Hitlerbild gehängt und einen Spruch: "Ich, einer der von den Letzten und den Alten, /Will treu zu Dir, der einst uns führte, halten./ ... Ich bleibe unsern hehren Zielen treu. / Mein letzter Stolz ist: Ich war auch dabei."