Donnerstag, 13. März 1975

Deutschlands Rechtsradikale - auf rechtem Auge blind und vom Staat finanziert















stern, Hamburg
vom 13. März 1975
Frankfurt
er Rundschau
vom 22. November 1971
von Reimar Oltmanns


Als Adolf von Thadden (*1921+1996) auf dem fünften NPD-Bundesparteitag in Jahre 1971 seinen rechts-radikalen Kampfgefährten nicht mehr Führer sein wollte, schluchzten in der Stadthalle des niedersächs-ischen Holzminden weibliche Delegierte: "Bubi, bleib doch, Bubi komm wieder." Doch nachdem Abstieg der Nationaldemokraten in Bund und Land (die NPD wurde zu Beginn der siebziger Jahre in keinen der Landtage mehr wiedergewählt) trat "Bubi" von Thadden als Parteichef der ultrarechten Sammlungsbewegung zurück. Dabei hatte von Thadden in seiner ihm ange-dichtete Rolle als "nationaler Erneuerer Deutschlands" in den Jahren 1967/1868 seine Rechtsradikalen in fünf Landesparlemente mit einem Stimmenanteil von fast zehn Prozent hineingeboxt. Er selbst wurde Abge-ordneter in Niedersachsen zu Hannover. Es war das britische Magazin "newsweek", das in von Thadden einen "neuen Hitler" sah. Rudolf von Thadden selbst, über Jahre vom übermäßigen Alkokolkonsum gezeichnet, befand resignierend: "Ich will nicht länger Haupt- und Generalschwein der deutschen Politik sein."

SCHLÄGEREIEN: KNÜPPELDICK

Schon auf dem NPD-Konvent neofaschistischer Ge-sinnung und Neuorientierung war es in Holzminden zu Tumulten gekommen, die zu Massenschlägereien eskalierten; Stuhlbein um Stuhlbein, Bierflasche um Coca-Cola-Büchse. Im Mittelpunkt der dreitägigen Beratungen standen Fraktions- und Flügelkämpfe, die die Partei einer Spaltung sehr nahe brachten. Während der Wortführer jener extremen und gewaltbereiten Gruppen, Bayern NPD-Landesvorsitzender Siegfried Pöhlmann, die Delegierten ultimativ zu Gewaltaktionen aufrief und die Ohrfeige an Willy Brandt unter to-sendem Beifall als Genugtuung empfand, erklärte der neue Vorsitzende Martin Mußgnug (1971-1991) aus Tuttlingen: "Schmeißen wir die minderwertigen Gestalten aus der Partei raus."

TANZ AUF DEM VULKAN

Zuvor hatte der bisherige Chef Adolf von Thadden geäußert, er stünde der NPD angesichts dieser brach-ialen Flügelkämpfe nicht mehr als Parteivor-sitzender zur Verfügung. Thadden wörtlich: "Für einen Tanz auf dem Vulkan irrationaler Vernunft bin ich angesichts der Gesamtlage der deutschen Innen- und Außenpolitik weder geeignet noch bereit." Für ihn sei es unmöglich, weiterhin Vorsitzender dieser Partei zu sein, da er mit seiner Überzeugung gewalttätige und damit auch kriminelle Aktivitäten der Aktion Widerstand nicht vereinbaren könne. Thadden: "Ich habe kein Verständ-nis dafür, dass solche Leute in unserer Partei obendrein auch noch als eine Art missverstandener Helden ver-teidigt werden."

RADIKALE "SÄUBERUNG"

Thadden, der vom extremen nationalistischen Flügel fortwährend überaus hart attackiert wurde, betonte in einem Diskussionsbeitrag, dass nur eine "radikale Säuberung" der Partei von den Extremisten dafür künftig sorgen könne, dass die NPD wieder wählbar werde. Gleichzeitig fügte er hinzu: "Eine solche Säuberung würde aber eine viel zu lange Zeit erfordern, innerhalb derer dann auch noch eine große Anzahl gutwilliger und positiver NPD-Mitglieder resignieren würden, weil die Partei ihrer negativen Kräfte nicht Herr zu werden vermag."

FEINDSCHAFT, HASS

Für die Delegierten auf den Hinterbänken des NPD-Konvents zu Holzminden brach ein Weltbild zusammen. Träume mit von Thadden von einer einheitlichen und schlagkräftigen Partei des Rechtsradikalismus schienen ausgeträumt, über Jahre gepflegte Wunschvor-stellungen waren im Nu von den Bänken gefegt worden. Ein Bild des Hasses gleichsam bitterster Feindschaften boten beide Lager um Adolf von Thadden und seinen Widersacher Siegfried Pöhlmann. Als Adolf von Thadden sich nicht zur Wiederwahl stellte, weinten vielen Frauen an diesem Nachmittag. Allen voran die niedersächsische NPD-Landtagsabgeordnete Gertraude Winkelvoß (*1917+1982) aus Lüneburg. Sie konnte sich so gar nicht wieder beruhigen. Dabei hatte sich wortgewaltige Dame in einen Weinkrampf hineingesteigert - flehend auf dem Podium ihre Tränen in Theatralik umgesetzt. Wie sie, so sahen viele NPD-Frauen, die sich noch mit ihrem einst obligat straff gekämmten Dutt und Haarspange zu schmücken verstanden, in Adolf von Thadden ihren Schwarm, ihr Idol "nationaler Erneuerungen". "Bubi, Bubi, komm wieder," kreischten 50- bis 60jährige Damen stehend durch den Saal. Während des Krieges schenkten sie noch flugs dem "Führer ein Kind". Nunmehr galt ihre Hingabe eines Mannes, der immer-hin noch seinen Vornamen in die neuer Zeit mit hinüber retten konnte - Adolf heißt er.

AUF BRANDT-BILDER SCHIESSEN

Adolf von Thadden, genoss die aufgewühlte Demagogie eines routinegeübten Volksverhetzers. Er setzte sich von der NPD ab, weil er merkte, dass diese Partei nicht mehr "zu retten" war und mit dem terroristischen Untergrund liebäugelte. Noch am ersten Tag des Konvents hatte es den Anschein, als würde er sich zur Wiederwahl stellen. Weder sein Vorstand noch seine engsten Freunde wussten, welche Entscheidung er wohl in der Nacht zum Samstag getroffen hatte. Für ihn war die Zerrissenheit der vermeintlichen nationalen Be-wegung zu groß, als dass sie überbrückt hätte werden können. Während Extremisten um Pöhlmann nunmehr Funkhausbesetzungen ins Kalkül gezogen haben, hat die NPD eine weitere Eskalationsstufe hin zur Gewalt "gemeistert". Da versteht es sich in diesem faschistisch amgehauchten Milieu von selbst, dass Parolen, die 'Brandt und Scheel an die Wand" wünschen - niemanden mehr erregen mochten. Eine Selbstverständlichkeit, Routine, Alltag bei den Rechts-radikalen.

DESOLAT IN DEN ABGRUND

Wie desolat und kopflos der innere Zustand bei den Rechtsextremen mittlerweile ist, beweist, dass der Verstand zunächst den ehemaligen engagierten Nazi Professor Dr. Ernst Anrich mit seinen 65 Jahren zum Parteichef küren wollte. Anrich, der schon zwei Herzinfarkte hinter sich hat, hielt sich dann doch zurück, weil er einsah, dass er körperlich zu schwach ist, diesen "Scherbenhaufen" aus Demagogie samt aufge-stauter Gewaltpotenziale wieder zu flicken. Erst in den späten Abendstunden kam man zu dem Entschluss, Martin Mußgnug (*1936+1997) zum Parteivorsitzenden aufzustellen. Mußgnug hatte schon Jahre zuvor in dem bereits verbotenen "Nationalsozialistischen Studentenbund" antidemokratische Spuren hinterlassen. Für poli-tische Beobachter verdeutlichte sich auf diesem NPD-Bundesparteitag, dass diese rechts-extre-mistische Bewegung mit ihren verdeckten, konspirativen Praktiken bis hin zur offenen Gewaltanwendung längst die legalen Plattformen des Grundgesetzes, der parlamentarischen Demokratrie verlassen hat; verfassungsfeindlich allemal.

VON THADDEN - EIN AGENT

Nach dem Rückzug aus der Politik verkaufte Adolf von Thadden - ein Spross aus pommerischen Uradel - seine Überzeugung auf anderen "Märkten". Erst nach seinem Tode wurde durch britische Quellen bekannt, dass er stets ein zuverlässiger Informant des britischen Geheim-dienstes MI6 war und dort über Jahre auf der Gehalts-liste stand. Ansonsten versuchte sich von Thadden als Immobilienmakler, um seine Existenz zu sichern. Die Hauptaktivitäten von Thaddens lagen in Spanien, wo er seit über drei Jahren Bungalows wie Grundstücke zu verkaufen sucht. Eben Spanien auch in der Nach-Franco-Ära, "weil dort die Menschen, Ein-heimische wie Ausländer, unter den Garantien eines selbstsicheren gefestigten Staatswesens leben." Solche Festigkeit hat Adolf von Thadden, der sich in der Bundes-republik immer von "Verzichtspolitikern, Kultur-bolschewisten und Pornografen" umgeben sah, hierzu-lande vielerorts vermisst. Der Deutsche, der den Österreichern einmal vorwarf, sich "nicht zum gemein-samen Bluterbe zu bekennen", hält sich mehr in Spanien als im heimischen Hannover auf. Doch mit Angst-Parolen von einst ist bei seinen Lands-leuten auf dem Immobilienmarkt von heute kein Geschäft zu mehr zu machen. "Es läuft nicht mehr so, wie ich es mir vorgestellt habe." Der erfolglose Makler - als Kolumnist des NPD-Parteiblattes beschwört er gelegentlich noch die Erinnerungen an gestern - hat seine Geschäftsräume im Hannoverschen Arbeiterviertel Linden. Das Nachbar-büro gehört den Jungsozialisten. Die Toilette müssen sie sich teilen.

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Nachtrag: Die NPD verfügt mit ihren etwa 7.200 Mitgliedern über kein nennenswertes Barvermögen. Der Steuerzahler ist ihr größter Financier in Deutschland. Die staatlichen Zuschüsse aus dem Parteien-finanzierungsgesetz betrugen im Jahre 2006 exakt 1.376.678,48 €. Seit dem Jahre 1990 brachten Rechtsextremisten insgesamt 130 Menschen - teilweise unter bestialischer Folter - um. Ihre Gewalttaten richten sich zu 80 Prozent gegen Deutsche, auch Obdachlose und ausländische Mitbürger anderer Hautfarbe zählen zu ihren ausgesuchten Opfern. Ein Gewaltpotenzial, dass in diesem Zeitraum um dreißig Prozent eskalierte. In einem mit "gerichtsverwertbaren" Beweisen belegten Verbotsantrag beim Bundesverfassungsgericht sehen die Parteien in Berlin "keine vordringliche Aufgabe, keinen Handlungsbedarf". - Deutsche Verhältnisse.