Donnerstag, 22. November 1973

Streit der Witwen um ein linksliberales Qualitätsblatt in deutschen Landen der Zeitgeschichte







































Karl Gerold (*19. August 1906+28. Februar 1973) Herausgeber, Chefredakteur, Mehrheitsgesellschafter. Die "Frankfurter Rundschau" entwickelte sich in seiner Ära zu einer angesehenen überregionalen Zeitung mit nationaler Bedeutung.

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Conrad Ahlers (*8. November 1922+19. Dezember 1980) war ab 1959 bis 1962 innenpolitischer Redakteur. Ahlers schärfte das tagespolitische Profil der "Frankfurter Rundschau", bevor er nach Hamburg übesiedelte und die "Spiegel-Affäre" (1962) auslöste - inhaftiert wurde.
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Karl-Hermann Flach (*17. Oktober 1929 in Königsberg +25. August 1973 in Frankfurt am Main) war von 1962 bis 1971 ihr Redaktionsleiter. Er gab der FR zweifelsfrei ein prononciert linksliberales Profil. Der von ihm vertretene Kulturliberalismus grenzte sich schon in der Adenauer-Ära vom allseits verbreitete Wirtschaftsliberalismus "der freien Märkte " ab. Danach hatte für Flach Umweltschutz beispielsweise Vorrang vor Gewinnstreben. Er forderte eine dezidierte Reform des Kapitalismus gegen die immer größer werdende Ungleichheit. In der Frankfurter Rundschau wurde er zum Mentor einer nachfolgendem Journalisten-Generation.
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Verleger-Witwen und Zeitungs-Erbinnen Friedel Rudert und Elsy Gerold-Lang setzten Zwietracht, Animositäten ihrer Männer unerbittlich fort und gefährdeten die Existenz der FR.

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Werner Holzer, Chefredakteur (1973-1992) glättete das einst widerspenstige Rumoren seiner Redaktion, den liberalen Widerspruchsgeist an deutschen Zuständen . Der frühere Afrika-Spezialist Holzer entpuppte sich als "Herrenreiter" in den Rhein-Main-Vororten wohlsituierter Industrieller. Am Ende seiner Laufbahn erhielt er 2007 aus den Händen von Ingrid Gräfin zu Solms-Wildenfels den deutsch-amerkanischen Medienpreis der Steuben-Schurz-Gesellschaft zu Frankfurt am Main: machte sich als Präsident des Frankfurter Presseclubs einen Namen.

"Eine Zeitung muss frei von politischen und wirtschaftlichen Abhängigkeiten sein."
Karl Gerold


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stern, Hamburg
22. November 1973
von Reimar Oltmanns
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Zwei betagte Witwen pokern um die "Frankfurter Rundschau" (FR). Die Schweizer Pianistin Elsy Gerold-Lang, 74, (*1899+1988) und die ehemalige Sekretärin der Frankfurter KPD, Friedel Rudert, 70, streiten sich um das Erbe ihrer Ehemänner. Zwar wollen beide die linksliberale Tageszeitung und das "Druck- und Verlagshaus Frankfurt am Main GmbH" (Jahresumsatz 120 Millionen Mark) in eine gemeinsame Stiftung umwandeln, doch über den Namen dieser Stiftung herrscht Zwietracht. Während die Witwe des 1973 verstorbenen FR-Herausgebers Karl Gerold auf einer "Karl-Gerold-Stiftung" besteht, beharrt die Witwe des schon 1954 verschiedenen FR-Gesellschafters Arno Rudert auf dem Gemeinschaftsnamen "Karl Gerold/Arno-Rudert-Stiftung." Schließlich war Arno Rudert aus der KPD ausgeschlossen worden, weil er die FR-Lizenz von den Amerikanern angenommen hatte.
NAMENSRANGELEIEN
Die im beschaulichen Astano in der Schweiz lebende Pianistin Elsy Gerold-Lang, die sich bisher nicht um die Zeitung gekümmert hatte, will aber in der kleinkarierten Namens-Rangelei nicht nachgeben. Der Grund: Die ehemaligen FR-Gesellschafter Karl Gerold und Arno Rudert haben sich nie gemocht. Als Kompagnon Rudert starb, übertrug Gerold seine Anteile auf dessen Witwe. Indes: Er verbot der neuen Anteilseignerin das Betreten des Rundschau-Hauses und überging sie bei allen Entscheidungen, die das Unternehmen betrafen.
ALLES IM PANZERSCHRANK
Mit dem Plan, seinen Zweidrittelanteil in eine eigene Stiftung einzubringen, wollte der schon schwerkranke Rundschau-Herausgeber Anfang 1973 die unbequeme Friedel Rudert endgültig ausbooten. Karl Gerold zu dem auf Harmonie bedachten neuen Chefredakteur Werner Holzer: "Es sind alle juristischen Schritte für die Gründung einer Stiftung eingeleitet. Es liegt alles im Panzerschrank."
DER GROSSE KRACH
Doch statt "eines für die Bundesrepublik beispielhaften Modells" (Holzer) kam der große Krach. Denn Gerolds fünf Testamente und die von ihm entworfene Satzung der geplanten Stiftung sind nach dem Gesellschaftervertrag nur zu realisieren, wenn die seit dem Tode ihres Mannes mit einem Drittel am Unternehmen beteiligte Friedel Rudert dem Plan zustimmt. 1951 hatten Karl Gerold und Arno Rudert nämlich vereinbart, dass keiner ohne die Zustimmung über Gesellschafteranteile verfügen darf.
GEGENSPIELERIN
Die Gerold-Witwe, die Testamentsvollstreckerin ist, muss jetzt sogar damit rechnen, dass ihre Gegenspielerin aus dem Gerold-Nachlass einen weiteren Drittelanteil für sich fordert. Denn nach dem "Rundschau"-Vertrag kann nach dem Tode eines Gesellschafters der überlebende Teil 66,66 Prozent für sich beanspruchen. Die Klausel sollte früher einmal verhindern, dass die FR durch den Verkauf von Anteilen in die Hände konserativer Verleger fällt. So gingen beim Tode des 50-Prozent-Gesellschafters Arno Rudert 16,66 Prozent auf Karl Gerold über.
"AM ENDE IST SPRINGER HIER"
Trotz dieser Rechtslage ist Rechtsanwalt Joachim Rieke entschlossen, für die Stiftungsidee seines Freundes Karl Gerold zu kämpfen. Der Anwalt will als "Diener seines verstorbenen Herrn das Vermächtnis wahren". Um sein ehrgeiziges Ziel zu erreichen, ist der 68jährige Advokat bereit, bis zum Bundesgerichtshof zu gehen. Denn Joachim Rieke befürchtet, dass die Gesellschafterin Friedel Rudert ihre Anteile verscherbeln könnte. Rieke: "Am Ende haben wir noch Geschäftsführer von Springer hier sitzen." Die Gegenseite weist diesen Vorwurf empört zurück. Rechtsanwalt Carl Hans Barz: "Das ist Brunnenvergiftung." Friedel Rudert aufgebracht: "Der Rieke sieht nur seine Pfründe gefährdet."
FR-ZUKUNFT: SEHR UNGEWISS
Wegen der wirtschaftlichen Entwicklung der FR möchte Friedel Rudert allerdings einen Zivilprozess vermeiden: "Anstatt vor Gericht zu gehen, sollten wir lieber einen Kompromiss schliessen und uns auf die Erhaltung der 'Frankfurter Rundschau' konzentrieren." Tatsächlich nimmt das Hickhack der Witwe der Redaktion ihren Atem. Existenzgefährdend knabberte der fortwährende Aderlass oder frühe Tod brillanter, markanter Federn am einst couragierten, mitunter frechen FR-Gemüt. Hießen sie nun Conrad Ahlers, Karl Hermann Flach, Karl-Heinz Krumm, Gerhard Ziegler, Horst Köpke, Michael Rathert, Ulrich Mackensen, Volkmar Hoffmann, Anton Andreas Guha (*1937+2010), Martina I. Kischke (*1935+2014), Eckart Spoo, Rolf-Dietrich Schwartz oder auch Horst Wolf . Zwangsläufig wollte es wie ein Naturgesetz scheinen, drückte die überaus harte FAZ-Bild-Zeitungs-Konkurrenz auf dem Frankfurter Rhein-Main-Markt die Zuversicht des Blattes ausweglos in den Keller ; rote Zahlen, immer wieder Kleinmut als nagender Wegbegleiter. Gruppentherapien. Gestaltungstherapien.
BÜRGERLICHE ANERKENNUNG
An der Spitze zeigte sich ein weitgereister Chefredakteur Werner Holzer, der sich intensivst um den Aufbau des örtlichen Frankfurter Presseclubs verausgabte. Ein weltgewandter Werner Holzer, der Stund' um Stund' bei Arbeitgeberverbänden samt seinen Rotarier-Clubs zubrachte - um bürgerlicher Anerkennung heimsuchte. Streicheleinheiten. Im Hessischen Fernsehen auf HR3 parlierte er als gern gesehener Gast mit braungebranntem Teint über Unrecht, Verzweiflung, Hunger auf dieser Erde - Woche für Woche. Nur vor kritischer Berichterstattung seiner Zeitung, vor den eigentlichen deutschen Zustandsbeschreibungen (Ihr da oben, wir da unten) flüchtete er vorsorglich. Wendezeiten. Berührungsängste. Kleider machen eben Leute . Da gab es keinen "Schreib mal auf Kisch", sondern "guck mal weg, Holzer". (Egon Erwin Kisch, genannt der "rasende Reporter" *1885+1948). - Sehnsucht nach Karl Gerold.
DROHUNG: ERBSCHAFTSTEUER
Aber auch keine Zeit für Holzer. Witwen-Zeit. Schon der Krieg der Witwen hätte dem FR-Verlag eine Erbschaftssteuer in Höhe von 12 bis 15 Millionen Mark abverlangt. Nur durch die Gründung einer Stiftung, die ihre Gewinne an gemeinnützige Verbände abgeführt, kann das allmähliche finanzielle Ausbluten verhindert werden. Dabei hat die FR ganz andere Sorgen. In Neu-Isenburg bei Frankfurt investierte die Zeitungsgesellschaft 20 Millionen Mark in einen Druckereineubau, in dem auch die BILD-Zeitung von der Rotation lief. Die Lohnerhöhungen und Papierpreissteigerungen veranschlagt das Management mit sieben Millionen Mark. Schließlich macht die überegionale Auflage von knapp 50.000 (Gesamtauflage 185.000) Exemplaren monatlich 700.000 Mark minus, weil die Zeitung kein lukratives bundesweites Anzeigenaufkommen hat. Verleger Karl Gerold scheint das alles vorausgeahnt zu haben. Titel der letzten Verse des Freizeit-Poeten Gerold: "Obskur. Obskur."
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POSTSCRIPTUM (I). - Elsy Gerold-Lang starb im Jahre 1988. Sie vermachte der "Karl-Gerold-Stiftung" ihr gesamtes Vermögen. In der Präambel Stiftungssatzung hatte Karl Gerold verfügt, dass die "Frankfurter Rundschau" eine unabhängige, links-liberale Tageszeitung ist, Menschenrechten und der sozialen Gerechtigkeit verpflichtend.
Die eigentliche Bewährungsprobe des wirtschaftlichen Überlebens (Zeitungssterben und -aufkäufe, Medienkrise, Anzeigenverluste, Privatfernsehen, Internet, Personalabbau) konnte die "Frankfurter Rundschau" nur mit Hilfe der engagierten SPD-Schatzmeisterin Inge Wettig-Danielmeyer (1991-2007 ) bestehen - überleben. Die von ihr kontrollierte SPD-eigene Medienholding (DDVG) übernahm 2003 insgesamt 90 Prozent der Anteile am Druck- und Verlagshaus als Herausgeberin der FR. Ohne den finanziellen Zugriff der SPD wäre die "Frankfurter Rundschau" in Konkurs gegangen. Insgesamt sank in diesem Zeitraum von drei Jahren die Zahl der FR-Beschäftigten von extakt 1.7oo auf 750 Stellen. Die FR war wirtschaftlich gerettet. Im Juli 2006 gaben die SPD-eigene DDVG und der Kölner Verlag M. DuMont Schauberg, in dem der "Kölner Stadt-Anzeiger" erscheint, bekannt, dass er 50 Prozent der "Frankfurter Rundschau" übernimmt - der SPD bleiben 40 und der Karl-Gerold-Stiftung zehn Prozent. Um diese Kapital-Konstellation zustande zu bringen, musste Chefredakteur Wolfgang Storz fristlos entlassen werden. Bauern-Opfer. Storz war es, der die FR "durch die schwierigste Zeit ihrer Existenz" geführt hatte. Der Gefeuerte bedankte sich in der Redaktion "für die harten und für mich wunderbaren Jahre der Zusammenarbeit". Die "Karl-Gerold-Stiftung" war gegen die Entlassung des Chefredakteurs. Keine Mehrheit mehr. Scherbenhaufen. Achselzucken.
POSTSCRIPTUM (II). - Fünf Jahre später - exakt am 2. April 2011 - ist das Schicksal der Frankfurter Rundschau besiegelt. Nach mehr als sechs Jahrzehnten als überregionale Tageszeitung ist die Geschichte dieses linksliberalen Blattes jäh zu Ende. Der Grund ist in der rasanten finanziellen Talfahrt zu suchen. Allein im Jahr 2010 verbuchte die ohnehin schon rationalisierte Frankfurter Rundschau einen weiteren Verlurst von 19 Millionen Euro. Seit langer Zeit verzichten die Mitarbeiter bereits auf Urlaubs- und Weihnachtsgeld. Ohne Erfolg. So schrumpft die einst renomierte Zeitung in Frankfurt auf eine Lokalteil zusammen. Die überregionalen Mantel-Seiten werden künftig - gemeisam mit der Berliner Zeitung - in der Hauptstadt produziert. Amen.