Donnerstag, 1. März 1973

SPD-Presse: Freiheit, die sie meinen




























SPD-AUSVERKAUF: IDEEN UND IDENTITÄT

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stern, Hamburg
01. März 1973
28. Juni 1973
12. März 2009
von Reimar Oltmanns
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Vor 27 Jahren begann in Hannover die steile Karriere des Partei-Schatzmeisters und Konzern-Chef der SPD-eigenen Presseorgane Alfred Nau (*1906+1983). Er war Jahrzehnte lang eines der wichtigsten Mitglieder, eine Art "graue Eminenz" der westdeutschen Sozialdemokratie, unnahbar wie unauffällig. Und nun, ausgerechnet wieder in Hannover, soll Alfred Nau, der sich zudem mit dem Titel eines Ehrenpräsidenten der Sozialistischen Internationale schmückt, auf dem Parteitag im April 1973 entmachtet werden.
TOTENGRÄBER VON 21 SPD-ZEITUNGEN
Der Grund: Die Parteibasis verübelt dem Totengräber von 21 SPD-Zeitungen, dass sein selbstherrlicher Umgang mit den eigenen Blättern die Forderung der Sozialdemokraten nach mehr Mitbestimmung für die Journalisten unglaubwürdig macht. SPD-Medien-Experte, der Staatsrechts-Professor Erich Küchenhoff (*1922+2008) aus Münster konstatierte: "Das Parteivolk ist wütend auf den Alfred Nau. Das Maß ist voll." In einem Antrag fordern die Nau-Kritiker in der SPD die Parteitagsdelegierten auf, "die verantwortlichkeit für den der Partei zugehörigen Medienbereich vom Amt des Schatzmeisters zu trennen." Im übrigen könne Nau sich über wichtige Parteiämter nicht beklagen. Schließlich sei er Ehrenpräsident der Sozialistischen Internationale. Zudem führte er über in der parteieigenen finanzkräftigen Friedrich-Ebert-Stiftung maßgeblich Regie. Nau-Jahre.
ZORN ANGEHEIZT
Nur - der jüngste wirtschaftliche Zusammenschluss der bürgerlich-konservativen Hannoverschen Allgemeinen Zeitung (HAZ, Auflage 183.000) mit der SPD-eigenen Neuen Hannoverschen Presse (NHP, Auflage 92.000) hat den Zorn der Parteimitglieder auf Alfred Nau zusätzlich angeheizt. Denn die SPD tritt in ihren medienpolitischen Beschlüssen für die Sicherung der Meinungsvielfalt - und nicht etwa für Pressekonzentrationen ein.
GILT FÜR ALLE - ABER NICHT FÜR SPD
Was für alle anderen Verleger zutreffen soll, will Alfred Nau für die SPD-Zeitungen nicht gelten lassen, denn der sozialdemokratische Pressezar glaubt, trotz der wirtschaftliche Kooperation der beiden Zeitungen in Hannover "die redaktionelle Unabhängigkeit der NHP" sichern zu können. Doch Nau hat seinen Genossen nicht verraten, dass es in Hannover nicht nur um die wirtschaftliche Zusammenarbeit geht, sondern dass auf dem Vertriebssektor und dem Anzeigengebiet ein marktbeherrschendes Monopol entstanden ist. Das Schweigen des Schatzmeisters ist verständlich, denn der Medienbeschluss seiner Partei lautet: "Zusammenschlüsse von Zeitungs- oder Zeitschriftenverlagen ... können untersagt werden, wenn die Informations- und Meinungsfreiheit drch diese Fusion gefährdet oder beeinträchtigt, der Wettbewerb beschränkt oder die Entstehung marktbeherrschender Unternehmen begünstigt wird."
KARTELBEHÖRDE ERMITTELT
Inzwischen ermittelt die niedersächsische Landeskartellbehörde gegen die neue Verlagsgesellschhaft, weil nach dem Willen der HAZ-Verlegerin Luise Madsack (*1910+2001) die Anzeigenpreise des Pools um 60 Prozent erhöht werden sollen. Ministerialrat Dr. Wehner, Kartellreferent im niedersächsischen Wirtschaftsministerium: "Wir müssen jetzt überprüfen, ob hier ein marktbeherrschender Missbrauch vorliegt." Zwar gestand auch Alfred Nau vor dem hannoverschen Bezirksvorstand der SPD: "Kartellrechtlich ist unsere Sache bedenklich." Doch der linkslastige niedersächsische SPD-Chef Peter von Oertzen (*1924+2008) zeigte Verständnis: Gesinnungsfreunde versuchte er das Anzeigen-Monopol als linke Politik zu verkaufen. Von Oertzen: "Jetzt werden die Geschäftsleute durch höhere Anzeigenpreise ausgebeutet."
AN DER FRONT PRÜGEL BEZOGEN
Herbe Kritik handelt sich Alfred Nau für seine Geschäftspolitik auch bei den Experten der SPD-Bundestagsfraktion ein. In einer gemeinsamen Resolution bemängelten sie, "dass die Verantwortlichen für die SPD-Presse offensichtlich nicht bereit sind, sichtbare Zeichen für seine solide Medienpolitik zu setzen." Denn "alle ehrlichen Bemühungen der Medienpolitiker der Partei müssen unglaubwürdig werden, wenn - wie in Hannover - mit rein wirtschaftlichen Moviten eine Fusion vollzogen wird." Und der Kommunikations-Wissenschaftler, SPD-MdB Peter Glotz (*1939+2005), kritisiert die mangelnde Zusammenarbeit in der Partei: "Wir beziehen an der Front Prügel für Unternehmens-Entscheidungen, von denen wir nichts wussten und die wir auch nicht zu verantworten haben." Sein Kollege Björn Engholm (SPD-Partei-Chef 1991-1993) fürchtet, dass die Genossen in der Diskussion um das geplante Presserechts-Rahmengesetz, das die Mitbestimmungsrechte der Redakteure ausweiten soll, keinen leichten Stand haben werden: "Wir Sozialdemokraten gehen mit einer relativ schweren Hypothek in diese Debatte."
VOM PARTEI-STALLGERUCH BEFREIT
Die Hypothek wird noch schwerer, wenn erst eine wirtschaftliche Kooperation zwischen der SPD-eigenen Westfälischen Rundschau und den CDU-nahen Ruhr Nachrichten in Dortmund vollzogen ist. Obwohl sich die Westfälische Rundschau vom Partei-Stallgeruch befreien konnte und mit einer Auflage von rund 250.000 Exemplaren zu den großen deutschen Tageszeitungen zählt, will Nau-Gehilfe Alois Hüser, Geschäftsführer der SPD-Presseholding, auf dem Vertriebssektor und dem Anzeigengebiet mit dem CDU-Blatt zusammenarbeiten. Ihm geht es dabei ums Geld. SPD-Chefredakteur Günter Hammer wehrt sich: "Der Hüser denkt nur an den Profit. Die SPD ist doch kein Konzern, der Margarine verkauft." Erbost schimpfte Günter Hammer über Parteifunktionäre: "Die reden uns immer ein, wir sollte eine Zeitung machen, wie der Vorwärts. Selbst lesen sie aber die Bild-Zeitung. Ich habe dem Nau gesagt, mit solcher Pressepolitik wollen wir nichts zu tun haben. Denn unsere Zeitung ist gesund."
ABGESANG AUF RATEN
Noch will sich Alfred Nau zu dem Plan einer wirtschaftlichen Kooperation in Dortmund nicht bekennen. Ihm fehle der Mut, flüstert es auf den Fluren der SPD-Baracke zu Bonn. Erst nach dem Bundesparteitag in Hannover im April 1973 will er die bereits eingefädelte Zusammenarbeit bekanntgeben. Im Augenblick überlegt der arg glücklose Nau, ob er überhaupt noch einmal für das Amt des Schatzmeisters kandidieren soll. Denn nach Hochrechnungen der Partei-Strategen in der Zentrale, würde sich von 435 Delegierten 230 gegen ihn aussprechen. Deshalb will Kassierer Alfred Nau eine erneute Kandidatur von dem Votum des Parteivorsitzenden Willy Brandt (1964-1987; *1913-1992) abhängig machen. Ein Nau-Berater: "Er wird nur noch antreten, wenn Willy Brandt seine volle Autorität einsetzt." Die hatte er auch bitter nötig. Alfred Nau überlebte noch so manche Parteitage in Amt mit Dienstwagen.
KEIN ÖFFENTLICHES GEZÄNK
Denn die Genossen wollten kein Gezänk, keine öffentlich ausgetragenen Diadochen-Kämpfe mehr um Presse- und Meinungsfreiheit inszeniert wissen. Sie wollten lieber wieder für mehr Zucht und Ordnung in den eigenen Reihen sorgen. Nach der Devise "lieber bedeutungslos, aber bequem" soll selbst das auffsässig gewordene SPD-Organ Vorwärts ( 1876 von Karl Liebknecht und Wilhelm Hasenclever gegründet ) wieder fest an die Kandare genommen werden.
SPD-NACHHILFE-UNTERRICHT
Der für Pressefragen verantwortliche Partei-Vize Heinz Kühn (*1912+1992) wird in Zukunft den Redakteuren regelmäßig Nachhilfe-Unterricht in der SPD-Politik geben und mahnend den Zeigefinger erheben, wenn die Zeitung von der Parteilinie abweicht; Aktion "Schere im Kopf" - innere Zensur auf Raten. Ausgerechnet der CDU-Opposition im Düsseldorfer Landtag und nicht etwa der Vorwärts-Redaktion erklärte der nordrhein-westfälische Ministerpräsident ( 1966-1978), wie er sich seine Rolle als Herausgeber vorstellt. Heinz Kühn kritisierte einen Vorwärts-Artikel über die Polizeiaktionen gegen die maoistische KPD. Dabei versicherte er den Volksvertretern, er sei notfalls auch bereit, selber zur Feder zu greifen, damit "in der gleichen Ausgabe auch gegenteilige Standpunkte publiziert werden".
MIT KRITIK BEACHTUNG GEWONNEN
Noch vor eineinhalb Jahren war Heinz Kühn ganz anderer Meinung gewesen. Als damals der neue vorwärts-Chefredakteur Gerhard E. Gründler (zuvor Tageszeitung Die Welt und Magazin stern) das Experiment wagte, die in der Öffentlichkeit kaum beachtete Wochenzeitung mit aufsässigen Artikeln aufzupolieren, auch nicht vor Kritik an der eigenen Partei zurückschreckte, lobte Heinz Kühn "die Vitalität und interessante Berichterstattung".
ZENSOR DES BLATTES
Zwar will der Partei-Vize auch heute kein "Zensor des Blattes sein", doch er greift bereits in die tägliche Redaktionsarbeit ein. Nachdem ihn Genossen alarmiert hatten, der vorwärts wolle untersuchen, wie sich Hamburgs Innensenator Heinz Ruhnau (1965-1973) auf der Jagd nach Partei-Pöstchen "Wettbewerbs-Vorteile" erschlichen habe, zitierte er den Redakteur Peter Ruthmann in die Bonner NRW-Landesvertretung. Ruthmann versetzte den Ober-Genossen und erschien nicht zum Rapport. Verärgert wies Heinz Kühn den amtierenden Chefredakteur Hermann Schueler an, den Artikel nicht zu veröffenlichen. vorwärts-Reporter Claus Lutterbeck klagt: "Wir stecken in einem Dilemma. In der Öffentlichkeit gelten wir als Vorstandsjubler, aber parteiintern beziehen wir laufend Prügel."
SCHWEIGEN: BOMBEN AUF VIETNAM
Tatsächlich ist die vorwärts-Mannschaft bei der SPD-Spitze in Ungnade gefallen. So beklagte sich Parteichef Willy Brandt darüber, dass die Zeitun immer wieder exklusiv über personelle Rangeleien in der SPD berichte. Und besonders unwirsch reagierte er, als ihm das Parteiorgan auch noch vorhielt, er hätte zum amerikanischen Bombenkrieg in Vietnam (1965-1976) nicht schweigen dürfen. Der gewichtige Herbert Wehner, (Chef der SPD-Bundestagsfraktion, 1969-1983) will mit der Redaktion überhaupt nichts mehr zu tun haben. Ihm paßt der ganze Kurs nicht. Mehrere Briefe von Chefredakteur Gründler ließ er unbeantwortet. Demonstrativ trat Wehner nach dem letzten Parteitag im April 1973 in Hannover als Herausgeber des Blattes zurück. Von der Möglichkeit, im Parteiorgan selbst Stellung zu nehmen, macht "Onkel Herbert" schon seit langem keinen Gebrauch mehr. Statt dessen schreibt er in der konservativen Augsburger Allgemeinen und im Kölner Boulevard-Blatt Express.
BELEHRUNGEN, BEFEHLE VON OBEN
Auch Verteidigungsminister Georg Leber (1972-1978) hat mit dem Hausblatt nichts mehr im Sinn. Als er öffentlich mit den Kriegsdienst-Verweigerern abrechnete, belehrten ihn die Genossen Redakteure, die Ablehnung des Waffendienstes sei kein Ausnahme-, sondern ein Grundrecht. Leber reagierte erbost: "Ich werde mich an die richtige Stelle wenden. Verlaßt euch drauf. So geht das nicht weiter." Auch Bundestags-Vizepräsident Hermann Schmitt-Vockenhausen (*1923+1979) ereiferte sich: "Das ist doch nur ein sozialdemokratischer Bayernkurier". Und der Chef der Kanalarbeiter-Gruppe, den Hinterbänklern im Parlament, Egon Franke (*1913+1995) fauchte lauthals: "Das Blatt ist für Genossen nicht mehr lesbar;" - und kramte die Bild-Zeitung aus seinem Abgeordneten-Pult hervor.
AUFLAGE STEIGT UND STEIGT
Nur beim Parteivolk hat das Blatt an Boden gewonnen. Die verkaufte Auflage stieg von 30.000 Exemplaren 1971 auf inzwischen 55.000. Doch diese stolze Bilanz muss die Redaktion der Öffentlichkeit verheimlichen. Denn vorwärts-Verleger und Parteischatzmeister Alfred Nau hat es bisher beharrlich vermieden, ehrliche Auflagenzahlen zu nennen. So bezifferte er 1966, als das Blatt einen Tiefpunkt erreicht hatte, die Auflage auf 64.000. Tatsächlich wurden nur 13.000 Exemplare verkauft.
ZAHLENSPIELE - ANZEIGENPREISE
Nunmehr berechnet der Verlag die Anzeigenpreise nach einer um rund 16.000 Exemplare überhöhten Auflagenzahl von 71.500 Exemplaren. Verlagsprokurist Oswald Röhnelt verharmlost Naus Zahlenspiele: "Das kann sein. Vielleicht hat sich irgendein Sachbearbeiter bei der Berechnung versehen." Und der Neu-Verleger Heinz Kühn stellt sich unwissend: "Ich kann das weder bestätigen noch dementieren." Kühns mangelhafter Informationsstand ist sogar nachvollziehbar. Denn selbst Willy Brandt gewährt Alfred Nau nur flüchtigen Einblick in die Buchführung.
GESICHT ZEIGEN IN EDEL-HERBERGEN
Verständlich, dass der wöchentlich erscheinende vorwärts als Zensur-Objekt der Partei-Oberen 1989 eingestellt wurde, zu unappetitlich war. Kritischer Journalismus in der SPD adé. Verständlich zudem, dass Herrenreiter Uwe Karsten Heye ("Ich liebe nun mal Pferde") im Jahr 2006 dem neuen vorwärts als monatliche Mitglieder-Zeitung einen modernen Charakter verordnete. Schick in der Aufmachung, todschick in der Fotografie - neureich auf Glanzpapier, dem manierlichen Zeitgeist-Attitüden der Berliner Republik eingepasst, life-style vielerorts, der Chefredakteur im feinsten Zwirn überall dabei. Ganz wie Uwe-Karsten Heye (1998-2002 Regierungssprecher von Bundeskanzler Gerhard Schröder) , sich ehedem vorgenommen hatte, stets sein telegenes Gesicht "in diesen modernen Medien-Zeiten" im großformatigen Look dieser Jahre zu zeigen. Und das nicht nur, wenn es um Ausländer-Hass in Deutschland geht. Sein Gesicht indes zeigt Uwe Karsten Heye allzu gern in Hamburg in der Edelherberge Hotel Atlantik (Einzel-Zimmerpreis 163 Euro pro Nacht) mit Blick auf die Außen-Alster , dort wo er seine Gespräche zu kultivieren pflegt. - Jahre mit dem vorwärts - Vorwärts-Jahre. - Die vorwärts-Gründer Wilhelm Liebknecht und Wilhelm Hasenclever - verfolgt,verraten, verarmt - würden sich im Grabe umdrehen - wenn sie es denn könnten.