Montag, 28. Februar 1972

Gewaltfreier Widerstand in einer aggressiven, hochgerüsteten Welt

In Erinnerung an die Friedensaktivistin und das Gründungs-mitglied der Partei Bündnis 90 /Die Grünen Petra Kelly (*23. November 1947 in Günzburg; + ermordet in der Nacht zum 1. Oktober 1992 in Bonn).
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Frankfurter Rundschau
vom 28. Februar 1972
und vom 05. März 2009
von Reimar Oltmanns
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Ganz in der Nähe von Panzerketten durchwühlten Truppen-Übungsplätzen in der Lüneburger Heide rüsten sich 30 Jugend-Offiziere der westdeutschen Armee für einen ganz anderen , nicht-militärischen Kampf - den Kampf um bessere Argumente; die Meinungsschlacht gegen die deutsche Friedensbewegung in den siebziger und achtziger Jahren. Für jungen Soldaten, so sagten sie, werde "die Schlacht dort erfolgreich geschlagen, wo es um unser Selbstverständnis geht". Nachdenklich fügten die "Bürger in Uniform hinzu: "Wir sind im Umbruch. Das jahrelang fixierte Freund-Feind-Schema stimmt nicht mehr."
WAHNSINN: RÜSTUNG
Und das in einer Welt, die jährlich 1,6 Billiarden Mark für militärische Rüstung ausgibt, die ein Atomwaffen-Arsenal beherbergt, das in seiner Sprengkraft 16 Milliarden Tonnen herkömmlichen Sprengstoffs TNT entspricht. Einer Erdkugel, auf der das reichste Fünftel der Bevölkerung über 71 Prozent des Welteinkommens, das ärmste Fünftel aber nur über zwei Prozent verfügt ein Globus, auf dem 500 Millionen Menschen hungern, 600 Millionen Menschen ohne Arbeit sind und eine Milliarde in tiefster Armut leben.
ÄRA DER PETRA KELLY (*1947+1992)
Es war die Epoche der Petra Karin Kelly , Friedensaktivistin und Mitbegründerin der Partei Die Grünen. Sie war eine seltene Ikone der grün-alternativen Bewegung in den siebzigern, Anfang der achtziger Jahre in Deutschland. Sie besaß Charisma, Leidenschaft und Überzeugungskraft. Ihr Fachgebiet als Bundestagsabgeordnete und Vorstandssprecherin der Grünen war das Leid dieser Erde - Abteilung Kriegsgefahr, Rohstoffabbau, Bevölkerungswachstum, Verelendung der Menschen - zuständig für Anti-Atom-, Gleichberechtigungs-, Friedensbewegungen, vielerorts und nirgends - ausnahmslos weltweit als globale Überlebensfrage. Überall marschierte Petra Kelly vorneweg, sprach mit vibrierendem Menschheitspathos vor 400.000 Demonstranten im Jahre 1981 gegen Hochrüstung, atomare Aufrüstung im Bonner Hofgarten. Folgerichtig wurde sie im Jahre 1982 mit dem Alternativen Nobelpreis ( Right Livelihood Award) ausgezeichnet.
POLITISCHE AUFSTIEG
Der politische Aufstieg der Petra Karin Kelly in der grün-alternativen Friedensbewegung verlief atemberaubend. Im Jahre 1977 gelangte sie in den Bundesvorstand des Bundesverbandes Bürgerinitiative Umweltschutz; zwei Jahre später wurde Petra Spitzenkandidatin der Wahlliste "Sonstige Politische Vereinigungen - Die Grünen" für die Europawahl 1979. Schon ein Jahr später avancierte sie zur ersten Parteisprecherin der von ihr mitgegründeten Partei "Die Grünen".
"BETROFFENHEITS-GETUE"
Ihre Wahrnehmungen und Empfindungen, von vielen Polit-Profis als "Betroffenheits-Getue" verhöhnt, galten das Leiden der Menschen und krassen Ungerechtigkeit in ihrer Ära. Síe litt darunter. Zuweilen schrieb Petra Kelly Sätze über sich auf, wie schwach, wie zerbrechlich sie sich fühlte. Seit ihrer Kindheit war sie
nierenkrank. Sie litt unter der Schule, sie litt unter dem Verlust ihres Vaters, sie litt an den Folgen familiärer Zerwürfnisse wie viele Scheidungskinder. Jahre später, als Petra Kelly zwischen 1971 und 1982 als Verwaltungsrätin bei der Europäischen Gemeinschaft in Brüssel arbeitete, litt sie unter der Behäbigkeit der Bürokratie. Jahre später litt die sich oft unverstanden gefühlte Petra Kelly unter den Grünen Parteikollegen auf den Abgeordneten-Bänken im Parlament. Dort im Deutschen Bundestag fungierte sie im Jahr 1983 als Sprecherin ihrer Fraktion. Und im Jahr 1980 gründete Petra Kelly mit dem Friedensforscher Theodor Ebert im westfälischen Minden den Bund für Soziale Verteidigung.
EINFLUSS AUF SOLDATEN
Petra Kelly weilte natürlich nicht unter den 30 Jugend-Offizieren der Bundeswehr im niedersächsischen Fallingbostel. Nur in ihrem Sendungs-Bewusstsein der Soldaten, da hatte sie längst unmerklich Platz genommen. Fragen wie "ist eine gewaltfreie Konfliktaustragung, eine soziale Verteidigung" möglich? Sicherlich ist soziale Verteidigung, ziviler, nicht-militärischer, gewaltloser Widerstand gegen Aggression, Intervention zum Abschreckungssystem im Sinne einer funktionalen Äquivalenz keine kurzatmige Lösungsmöglichkeit zum angeblichen militärischen Gleichgewicht , etwa zwischen Ost und West. Doch gemeinsam mit dem Politikwissenschafter Theodor Ebert (Professor am Otto-Suhr-Institut in Berlin, 2002) entwarf Petra Kelly unter dem Begriff der Sozialen Verteidigung eine Alternative zur Kriegsführung, Kriegsbedrohung, Kriegsvernichtung dieser Epochen. Langfristig und im komplexere Sinne hinterfragt, ermögliche die Soziale Verteidigung gleichwohl ein anderes Denken, "weil die gesellschaftlichen Grundlagen radikal in Frage stellt werden, auf denen das bestehende Drohsystem aufrecht erhalten und die den Herrschenden in Ost wie West, Süd und Nord ständig ermöglichen, dessen Ausbau, Perfektionierung kritiklos propagieren zu können" (Theodor Ebert).
KEINEN SIEG GARANTIERT
Nach Auffassung der NATO will das Abschreckungssystem keinen militärischen Sieg garantieren, sondern den Ausbruch eines Krieges verhindern. Aber es ist gerade die so genannte drohende Gewaltanwendung, die Petra Kelly heftigst kritisiert. Für sie ist es paradox , dass mit einer militärischen Drohung, offene Gewaltanwendung und militärische Konflikte - auch durch die laufende Perfektionierung der Kriegswaffen-Technologie - verheerende Vernichtungs-Feldzüge verhindert werden können. Petra Kelly: "Wir wissen doch längst, dass der Versuch durch Abschreckung Kriege zu vermeiden, das Gegenteil erreicht wird - nämlich die systematische Vorbereitungen von Kriegen." Auch nehme die viel gepriesene Abschreckungspolitik dem Gegner die Chance, die bei ihm vermuteten aggressiven Erwartungen zu widerlegen, da das militärische Gewaltsystem auf allen denkbaren Ebenen Vergeltung androhe.
SOZIALE VERTEIDIGUNG
Die Soziale Verteidigung hingegen, urteilte Petra Kelly, sei ein klassischer Bestandteil der Theorien von gewaltfreier Konfliktaustragung. Gemeinsam mit Theodor Ebert trachtete Petra Kelly danach, historische, spontane und konzeptionslose Einsätze gewaltloser Methoden zu einer tragfähigen Strategie zu entwickeln. - Kärrnerarbeit. Ausgangsbasis sei die Theorie der "Macht von unten durch gewaltfreie Aktion". Bisher seien in der Politik-Wissenschaft Konflikte untersucht worden, in denen unterprivilegierte Schichten um mehr soziale Gerechtigkeit und um die Änderung sozialer Strukturen gekämpft hatten. Für den Friedensforscher Theodor Ebert waren derlei Auseinandersetzungen typisch, wie die Etablierten pazifistische Akteure mit ihrem bürokratischen Apparaten erfolgreich ausmanövrierten.
GEHORSAM VERWEIGERN
Die Grundform des Widerstands ist, dem Aggressor den Gehorsam zu verweigern und nach der demokratische Grundordnung der eigenen Gesellschaft mit gesteigerter Einsatzbereitschaft die selbst gesetzten Aufgaben, Ziele, Lebens-Ideal zu erfüllen. Die soziale Verteidigung ist kein Hungerstreik der Nation, sondern gesteigerte Normalität unter "abnormen Bedingungen".
DER LETZTE APPELL
Die Jahre des sozusagen letzten Appells der Petra Kelly begannen mit einem früheren Generalmajor der Bundeswehr. Gert Bastian (1923-1992 ) war im Streit über die Richtigkeit des NATO-Doppelbeschlusses aus der Armee ausgeschieden.Er hatte sich mit einseitigem Abrüstungsverlangen ("Krefelder Appell" von 1980 bis 1983 von vier Millionen Bundesbürgern unterzeichnet) an den Westen der Friedensbewegung angeschlossen. Mitte der achtziger Jahre bezog das Paar Kelly/Bastian ein gemeinsames Haus in Bonn - arbeiteten erst noch im Bundestag, später zusehends aussichtsloser gegen ihre geringer werdende Bedeutung ,verloren Einfluss, gegen ihr verblichenes Charisma bei den Grünen an. Abstieg, Zerwürfnisse, Bitterkeit.
IM SCHLAF ERMORDET
In der Nacht zum 1. Oktober 1992 erschießt Gert Bastian mit der Pistole vom Typ Derringer seine Lebensgefährtin Petra Kelly in der gemeinsamen Wohnung in Bonn-Tannenbusch und anschließend sich selbst. Petra Kelly schulterte das Leid dieser Erde - als Mensch zerbrach sie daran und wurde im Schlaf ermordet. - Mit ihrem Tod fand eine deutsche Aufbruchs-Ära ihr jähes Ende.